zurück

„Und überdies vergaßen wir bei der Zubereitung der sogenannten alten Arzneien gar nie unsere Position als Forscher in der unbekannten Welt der Ergebnisse, der Wirkungen. Ohne je das Fundament unserer Heilkunst zu vergessen, stellten wir ab und zu auch neue Arzneien her. Mindestens einmal im Jahr, häufig zweimal und sogar dreimal führten wir eine reguläre Arzneimittelprüfung durch. Diese Prüfungen waren die hohen Feiertage in unserer Glaubensgemeinschaft, und man halte sich nicht für ein wahres Mitglied derselben, wenn man an diesem Festmahl nicht teilgenommen hat.

Eine Prüfung ist eine höchst wundervolle Sache, nie hat die Welt etwas ähnliches gesehen. Wir leiden und haben daran Freude, wir opfern ein Stück Behaglichkeit und gewinnen dadurch Jahre voller Kraft. Wir gehen in die Schule, um zu lernen, und wir vergrößern die Zuverlässigkeit der Heilkunst. Gleichzeitig ist das Prüfen von Arzneien der allerbeste Weg überhaupt, der naheliegendste und der leichteste Weg, um den Umgang mit der Materia Medica zu erlernen. Nur so gilt es zu lernen; beobachte die Kunst der Künste, die Grundlage, auf der alle anderen aufbauen".                                Constantine Hering - Vorlesungen von Hering und Lippe

„Also genau, sorgfältig genau, müssen die Arzneien, von denen Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit der Menschen abhängen, von einander unterschieden und deshalb durch sorgfältige, reine Versuche auf ihre Kräfte und wahren Wirkungen im gesunden Körper geprüft werden, um sie genau kennen zu lernen und bei ihrem Gebrauche in Krankheiten jeden Fehlgriff vermeiden zu können, indem nur eine treffende Wahl derselben das größte der irdischen Güter, Wohlsein des Leibes und der Seele, bald und dauerhaft wiederbringen kann."                       Samuel Hahnemann, Organon § 120

 

Auszüge aus dem Buch:

Die homöopathische Arzneimittelprüfung

- Dynamik und Methode

Jeremy Sherr

 

Vorwort von Edward C. Whitmont

Diese Arzneimittelprüfung können Sie als Buch bestellen.

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel „The Dynamics and Methodology of Homeopathic Provings". Herausgeber der englischen Ausgabe: DYNAMIS BOOKS, 6 North Malvern Rd., Malvern, WR 14 4LT. Copyright © 1994, Jeremy Yaakov Sherr MCH, FSHom, RSHom. Die Übersetzung folgt der 2. Auflage.
Repertorising a Proving, © 1994, Dee McLachlan; Provings in Relation to Clinical Drug Trials, © 1994, Elaine Walker; Redaktion der engl.Ausgabe: Elaine Walker R.S. Hom P.C.H, Christine Millum RSHom, Wenda O'Reilly PhD, Melanie Kornfeld Grimes.

Ein besonderer Dank gilt der Firma Similasan in Jonen, Schweiz, die mit ihrer großzügigen Unterstützung die Übersetzung des Buches möglich machte.

Aus dem Englischen übertragen von Sabine Kämpfe

Copyright der deutschen Ausgabe © Fagus Verlag Jörg Wichmann, Rösrath
1. Auflage Okt. 1998
ISBN 3-933760-00-3

Alle Rechte, insbesondere auch das der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages - nicht als Fotokopie, Mikrofilm, auf elektronischem Datenträger oder im Internet - reproduziert, übersetzt, gespeichert oder verbreitet werden.
All rights reserved, including those of translation into other languages. No part of this book may reproduced, translated, copied, filmed, taken into electronic files, data carriers or internet without written permission of the publisher.

 

FAGUS- Verlag, Jörg Wichmann
Eigen 81, D- 51503 Rösrath, Germany
+49-2205 - 912563
e-mail: info@homoeopathie-wichmann.de

 

 

Ohne hinauszugehen,

kannst Du die ganze Welt verstehen.

Ohne aus dem Fenster zu schauen,

kannst Du das Wirken des Himmels sehen.

Tao te King, 47

 

 

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Einleitung zur 2. Auflage

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Die Dynamik der Arzneimittelprüfungen

Die Notwendigkeit von Prüfungen

Arzneimittelreaktionen

Störfaktoren

„als sei es nur eine Person"

Das kollektive Unbewußte

Homöopathische Arzneimittelprüfungen und ihre Beziehung zu klinischen Studien

Die Methodik der Arzneimittelprüfungen

Einführung

Ergebnisse erzielen

Rollenverteilung bei einer Prüfung

Das Mittel

Etappen der Prüfung

Die Prüfung

Auswertung der Ergebnisse

Zusammentragen der Symptome und redaktionelle Bearbeitung

Repertorisation

Toxikologische Berichte

Praktische Angelegenheiten

Anhang A

Anleitungen für Prüfer und Supervisoren

Anhang B

Neuere Prüfungen

Anhang C

Beispiel einer Prüfung - Hydrogenium

Bibliographie und Literaturhinweise

Stichwortverzeichnis

 

 

 

Vorwort

von Edward C. Whitmont M.D.

Paracelsus, Arzt des Mittelalters und bedeutender Vorläufer Hahnemanns, behauptete „es gibt keine einzige Krankheit, für die nicht ein Mittel erschaffen worden wäre, das sie vertreibt und heilt". Die Prüfungen von Hahnemann, Kent und ihren Anhängern, zu denen der Autor dieses Buches gezählt werden muß, haben per Experiment die Gültigkeit dieser bedeutsamen Aussage festgeschrieben. Die Vielzahl von Substanzen, die es auf der Erde gibt, scheint tatsächlich ein Ebenbild der vielfältigen Krankheiten und inneren Konflikte der Menschen zu sein.

Falls wir die Hoffnung hegen, dieses Heilungspotential in seiner ganzen Fülle zu nutzen, müssen noch unzählige Arzneimittelprüfungen durchgeführt werden. Aber je mehr Einzelheiten wir über die Substanzen ans Tageslicht bringen, desto häufiger werden wir zwangsläufig auf Verwirrung und Überschneidungen bei den Details stoßen. Mit der relativ beschränkten Anzahl von Polychresten, die uns frühere Lehrer an die Hand gegeben haben, war die Verschreibung zwar weniger wirksam aber einfacher als heute, mit einer Ansammlung hunderter „kleiner" Mittel. In Zukunft werden wir es vielleicht mit Tausenden noch feiner abgestimmter Mittel zu tun haben, die sich aufgrund späterer Prüfungen sehr ähnlich sehen. Daher muß man bei der Arzneimittelprüfung und der Auswertung der Prüfung noch genauere Vorgehensweisen anwenden, damit wir unsere Aufmerksamkeit noch präziser auf spezifische Unterscheidungselemente lenken können.

Jeremy Sherr hat bereits unser Repertoire erweitert. Aus seinen Erfahrungen als Prüfungsleiter schöpfend, ist er nun meines Wissens der Erste, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gewissenhaft die Grundregeln für sorgfältige und gründliche Prüfungen darzulegen, die in der Lage sind, eine einheitliche Beurteilung unserer Arzneien zu gewährleisten. Die Bedingungen und Anforderungen, die er stellt, beruhen eindeutig auf Hahnemanns eigenen Vorstellungen.

Abgesehen von den sonderlichen, ungewöhnlichen und eigenheitlichen Leitsymptomen müssen wir die genaueren Details der einzelnen Konstitutionstypen und Persönlichkeiten, die am stärksten auf eine bestimmte Substanz reagieren, festlegen und studieren. Wir müssen noch sehr viel feinere und differenziertere Typen entdecken, als üblicherweise in unseren Arzneimittellehren und Repertorien aufgeführt sind. Die meisten unserer Gemütsrubriken unterscheiden nach äußerlich sichtbarem und bewußt erkennbarem Verhalten, z.B. Angst .. im Bett .. um die Gesundheit .. am Abend usw. Diese Personenbeschreibungen haben zwar innerhalb ihres begrenzten Bereichs (und den zahlreichen Erwähnungen) ihre Gültigkeit, werden aber den tieferen Schichten der unbewußten Motivation und der Psychodynamik nicht gerecht. Hierzu ein paar Beispiele: Die Angst geht womöglich auf eine Unsicherheit im Selbstbewußtsein zurück (Lyc), rührt aus einem inneren Drang zu dienen und sich Aufgaben in der Gemeinschaft anzunehmen (Aur), oder ist auf blanke paranoide Furcht zurückzuführen (Ars) usw. Für eine solche psychodynamische Durchdringung sind die meisten der bereits vorhandenen Prüfungen, auch die der großen Polychreste, mehr als unzureichend. Sie wurden zu einer Zeit durchgeführt, als Geist und Bewußtsein noch als identisch galten und es noch an einer Psychologie des Unbewußten fehlte. In diesen Prüfungen wurden im wesentlichen die geistigen und emotionalen Symptome so aufgelistet, wie es den Prüfern möglich war, etwas an sich selbst zu bemerken und darüber bewußt zu berichten. Wir wissen heute, daß das nur ein Bruchteil von dem ist, was sich tatsächlich in ihrem Unterbewußten abspielt und zuweilen überhaupt nicht damit übereinstimmt. Es sind eher unsere unbewußten und nicht unsere bewußten Gefühle, Gedanken und Motivationen, die unseren Gesundheits- und Krankheitszustand bestimmen. Zukünftige Prüfungen werden sich daher auch mit der Erforschung der unbewußten Psychodynamik befassen, und zwar nicht nur während, sondern auch im Vorfeld der Prüfungen.

Eine wichtige Neuheit in der Arbeit von Jeremy Sherr ist, daß er durch den Hinweis darauf, daß die Placebowirkung auf teilnehmende Prüfer der Wirkung der eigentlichen Prüfsubstanz sehr nahe kommt, die Aufmerksamkeit auf die unbewußte Psychodynamik lenkt.

Als Studie über ein neu erschlossenes Gebiet verdient dieses Buch unseren immerwährenden Dank.

 

 

Einleitung

Wir genießen das Privileg, in einer Zeit zu leben, in der die Homöopathie eine Blüte erlebt. Im Laufe dieses noch jungen Wachstums unserer geliebten Wissenschaft haben Studierende und Behandler ein wiedererwachendes Interesse an der Theorie und der Praxis von Arzneimittelprüfungen bekundet. Zahlreiche Homöopathen haben sich an mich gewandt und mich um Rat zur Methode gebeten, da es kaum aktuelles Material zu diesem Thema gibt. Der größte Teil der klassischen Informationen ist über die gesamte homöopathische Fachliteratur verstreut, und es gibt nur wenige zuverlässige zeitgenössische Quellen. Die schwierigsten Bereiche einer Prüfung wie Auswertung und Zusammenstellung der Prüfungsdaten sind nicht gut dokumentiert worden, so daß der Homöopath, der sich auf die Reise einer neuen Prüfung begibt, feststellen muß, daß die Landkarte unleserlich und voller Ungereimtheiten ist.

In den letzten Jahren habe ich streng nach Hahnemann Prüfungen von Androctonus, Hydrogenium, Schokolade, Brassica, Germanium, Neon und Adamas (Diamant) durchgeführt. Sie gaben mir die Gelegenheit, einen Schatz an Erfahrungen zu sammeln. Ich gebe daher diese Arbeiten als Katalog meines jetzigen Wissens weiter in der Hoffnung, daß sie zu einem größerem Verständnis für das Thema und zu mehr Prüfungen von hoher Qualität führen werden. Mit diesem Ziel vor Augen habe ich die meisten zugänglichen Quellen durchforscht und sie mit meinen bei der Durchführung von Prüfungen gewonnenen Einsichten vereint.

Diese Aufzeichnungen sind weder als abgeschlossen noch als endgültig zu verstehen. Sie stellen eher einen Leitfaden dar, eine Ansammlung von Ideen, die revidiert und ergänzt werden kann. Unsere Wissenschaft ist jung, und wir alle müssen viel lernen. Ich freue mich daher schon auf die Kommentare und Gedanken meiner Kolleginnen und Kollegen.

Das Prüfen neuer Mittel war für mich und meine Studenten eine Freude und eine großartige Erfahrung. Ich hege die Hoffnung, daß dieses Buch für die Homöopathen eine Anregung zu neuen und besseren Prüfungen sein wird, so daß wir alle in den Genuß dieses wundervollen homöopathischen Prozesses kommen können.

 

Einleitung zur zweiten Auflage

Seit der Veröffentlichung der ersten Auflage dieses Buches hat mich die beeindruckende Zunahme an Qualität und an Quantität der homöopathischen Arzneimittelprüfungen angenehm überrascht. Fast wöchentlich erfahre ich von neuen Prüfungen und habe im Anhang ungefähr 370 von ihnen aufgeführt. Im Vergleich dazu waren es vor zwei Jahren 182. Einige davon sind darüber hinaus vollständige Prüfungen nach den Regeln Hahnemanns, d.h. sie umfassen die gesamte Totalität der Symptome, sind lange genug von einem Supervisor begleitet worden, sind doppelblind, ohne vorgefaßte Meinung und erheben einen hohen Anspruch.

Ich habe viele positive Reaktionen auf dieses Buch bekommen, das seinen Zweck zu erfüllen scheint, nämlich zur Prüfung zu motivieren und Prüfungen durchzuführen. Viele Homöopathen merken, daß die Erfahrung einer dynamischen Prüfung ein unerläßlicher und inspirierender Teil ihrer Ausbildung und ihres Wachstums ist.

Die nächste Herausforderung für die homöopathische Gemeinschaft stellt die Veröffentlichung dieser Prüfungen dar. Die meisten der im Anhang genannten Prüfungen sind gar nicht verfügbar. Ohne Veröffentlichung jedoch sind unsere Prüfungen unsichtbar und nutzlos. Ich habe auch viele Berichte über Erfolge mit Hydrogenium, Schokolade und Androctonus erhalten, mit denen anhand ihrer Veröffentlichung gut gearbeitet werden konnte. Ich meine jedoch, daß wir uns jetzt die gesammelten Veröffentlichungen ganz in der Tradition von Hahnemann, Allen und Hering, vornehmen sollten, und damit einen leichten und mühelosen Zugang zu allen unseren neuen Mitteln ermöglichen.

Angesichts der Jahrhundert- und Jahrtausendwende müssen wir uns neuen und manchmal auch erschreckenden Änderungen der Krankheitsmuster stellen. Wir sind aufgerufen diesen Ereignissen im Vertrauen auf eine umfassende und zuverlässige Materia Medica zu begegnen. Treten wir dieser Herausforderung mit höchster Qualität, Aufrichtigkeit und Sorgfalt entgegen.

J.Y.S.

 

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Die bis heute vorhandenen Arzneimittelprüfungen basieren auf der Arbeit vieler Homöopathen der vergangenen 200 Jahre. Hahnemann begann mit dieser Arbeit, sie wurde durch Kent und viele andere erweitert. Wie arm wären wir Homöopathen, wenn nicht immer wieder KollegInnen dazu beigetragen hätten, daß heute viele homöopathisch geprüfte Mittel zur Verfügung stehen.

Aber dürfen wir jetzt aufhören und uns auf dem bisher Erarbeiteten ausruhen? Dies würde gewiß nicht der Idee Hahnemanns entsprechen, der sein Leben der Arbeit am Patienten UND der Prüfung homöopathisch aufbereiteter Mittel widmete. Die Arzneimittelprüfung stellt ein Gegengewicht zur Arbeit am Patienten dar und ist damit ein wichtiger Faktor beim Studium der Homöopathie.

Jeremy Sherr hat viele von uns motiviert und uns auch vorgelebt und damit für uns erarbeitet, wie homöopathische Prüfungen nach den Regeln, die Hahnemann im Organon festlegte, ablaufen können. Wir verdanken ihm nicht nur neue Prüfungen wie Androctonus, Hydrogenium, Schokolade, Adamas, Germanium und viele mehr, sondern auch seine Vorschläge und Hinweise zur Methodik homöopathischer Prüfungen.

Es ist mir eine große Freude, daß seine Gedanken und genauen Anweisungen in die deutsche Sprache übersetzt wurden. Denn nur wenn wir alle gemeinsam überall auf der Welt dazu beitragen, daß sorgfältig vorbereitete und exakt durchgeführte Prüfungen stattfinden, wird der Schatz der Materia Medica, den wir bis heute zur Verfügung haben, erweitert. Das vorliegende Buch wird jedem Suchenden in der Homöopathie wichtige Erkenntnisse und Einsichten vermitteln können.

Anne Schadde, München, im Juli 1997

 

 

Über die Dynamik von Arzneimittelprüfungen

Die Notwendigkeit von Prüfungen

Arzneimittelprüfungen sind die Pfeiler auf denen die homöopathische Praxis ruht. Ohne genaue Prüfungen können alle zur Verschreibung führenden Hinweise bestenfalls vage Vermutungen und schlimmstenfalls reine Erfindung sein. Es gibt keinen anderen Weg, um die Wirkung irgendeiner Substanz als Arzneimittel mit einem gewissen Grad an Genauigkeit vorauszusagen. Die Verwendung der Signaturenlehre, der Toxikologie oder weit hergeholte Überlegungen können sich nicht annähernd mit dem genauen Wissen messen, das wir durch eine gründliche Prüfung erlangen. Wie es Hahnemann im Organon, § 21, ausdrückt:

„... und daß wir uns daher nur an die krankhaften Zufälle, die die Arzneien im gesunden Körper erzeugen, als an die einzig mögliche Offenbarung ihrer inwohnenden Heilkraft, zu halten haben,..." (1)

und in § 110:

„... indem weder durch vernünftelnde Klügelei a priori, noch durch Geruch, Geschmack oder Ansehen der Arzneien, noch durch chemische Bearbeitung, .. die reinen, eigentümlichen Kräfte der Arzneien zum Heilbehufe zu erkennen sind;" (1)

Nach dem Obengenannten ist es unser gutes Recht, gründliche und umfangreiche Prüfungen durchzuführen. Nur wie können mehr Prüfungen der Homöopathie weiterhelfen, wo wir doch schon mit so vielen Arzneimitteln gesegnet sind? Die Materia Medica wimmelt nur so von viel zu wenig verwendeten kleineren Mitteln. Ein weiteres Mittel könnte als eine zusätzliche Belastung für unsere überladene Materia Medica und die Repertorien verstanden werden.

Hahnemann hat sogar selbst in den Chronischen Krankheiten den Gedanken nahegelegt, daß die Prüfung von neuen Mitteln unser Problem nicht lösen würde.

„Woran lag es bei den Tausenden fehlgeschlagener Bemühungen, die übrigen Krankheitsfälle langwieriger Art so zu heilen, daß dauerhafte Genesung davon erwüchse? Vielleicht an der noch zu geringen Zahl der auf ihre reinen Wirkungen ausgeprüften, homöopathischen Heilwerkzeuge! Hiermit trösteten sich bisher die Schüler der Homöopathie; aber dem Gründer derselben genügte diese Ausflucht oder dieser sogenannte Trost nie - auch schon deshalb nicht, weil auch der von Jahre zu Jahre sich mehrende, neue Zuwachs an geprüften, kräftigen Arzneimitteln die Heilung der chronischen (unvenerischen) Krankheiten um keinen Schritt weiter brachte,..." (2)

Hahnemann will in diesem Zusammenhang sagen, daß ohne ein echtes Verständnis vom inneren Wesen von Krankheit und Heilung die Kenntnis von mehr Mitteln nicht wirklich weiterhilft. Umfangreiches Wissen über die Materia Medica ist nur ein Aspekt der Homöopathie und ersetzt nicht ihre Philosophie. Hahnemann hatte die ernsthafte Absicht, Prüfungen von Qualität durchzuführen, so wie es im § 145 steht:

„Freilich kann nur ein sehr ansehnlicher Vorrat genau nach dieser, ihrer reinen Wirkungsart in Veränderung des Menschenbefindens gekannter Arzneien uns in den Stand setzen, für jeden der unendlich vielen Krankheitszustände in der Natur, für jedes Siechtum in der Welt, ein homöopathisches Heilmittel, ein passendes Analogon von künstlicher (heilender) Krankheitspotenz auszufinden." (1)

Und in einer Fußnote zum selben Paragraphen:

„Was wird aber dann erst an Heilung im ganzen Umfange des unendlichen Krankheits-Gebietes ausgerichtet werden können, wenn mehr genaue und zuverlässige Beobachter sich um die Bereicherung dieser einzig echten Arzneistoff-Lehre durch sorgfältige Selbstversuche verdient gemacht haben werden! Dann wird das Heilgeschäft den mathematischen Wissenschaften an Zuverlässigkeit nahe kommen." (1)

Er führt aus, daß in dem Fall, wo das Simillimum nicht geprüft worden ist, er gezwungen sei, weniger genau zu verschreiben:

„Zuweilen trifft sich's bei der noch mäßigen Zahl genau nach ihrer wahren, reinen Wirkung gekannter Arzneien, daß nur ein Teil von den Symptomen der zu heilenden Krankheit in der Symptomenreihe der noch am besten passenden Arznei angetroffen wird, folglich diese unvollkommene Arzneikrankheits-Potenz, in Ermangelung einer vollkommneren angewendet werden muß." § 162 (1)

Wenn ein neues Mittel also ziemlich gut geprüft worden ist, wird es eine Klasse von Fällen heilen, die bisher nur teilweise von bekannten Mitteln erfaßt werden konnten. In vielen Androctonus Fällen wurde beispielsweise das sehr ähnliche Anacardium oder Platina mit mäßigem Erfolg verschrieben und das führt häufig unglücklicherweise zu einer Miteinbeziehung von „ausgeliehenen" Daten in einem ähnlichen Mittel, wodurch es in der Materia Medica zu einer verzerrten Darstellung kommt. Wenn die Homöopathen erst einmal ein neu geprüftes Mittel kennenlernen, wird es mehr und mehr eingesetzt werden, da es durch nichts anderes ersetzt werden kann, ebenso wie nichts den Platz von Lachesis oder Pulsatilla einnehmen kann.

Wie viele sind unter uns, die eine wahrhaft großartige Heilung mit Lachesis erlebt haben? Wenn Hering beispielsweise Lachesis nicht geprüft hätte, wären wir gezwungen gewesen, Nux vomica oder Hyoscyamus zu geben, und das nur mit mäßigem Erfolg. Wir stützen uns immer noch weitgehend auf die Prüfungen von Hahnemann, weil sie von guter Qualität waren. Vor kurzem fragte mich ein Student: „Woher wußte denn Hahnemann, welche Mittel er prüfen sollte, wo doch die meisten zu Polychresten geworden sind"? Die Antwort liegt nicht in der Auswahl der Substanz, sondern in der Qualität der Prüfung. Eine sorgfältige Prüfung wird ein gut abgerundetes Mittel hervorbringen. Für mich ist eine gute Prüfung so viel wert wie zehn oberflächliche.

Kent schreibt:

„Die Materia Medica muß durch sorgfältige und gründliche Prüfungen neuer Arzneimittel weiterentwickelt werden. Wir wiederholen sorgfältige und gründliche Prüfungen, da die meisten modernen Prüfungen wertlos sind, denn sie wurden unachtsam und fehlerhaft durchgeführt. Man wagt gar nicht, auf sie hin zu verschreiben in der Angst, kostbares Menschenleben solch nachlässiger Arbeit anzuvertrauen. Wie anders fühlen wir uns doch, wenn wir eines der alten, zuverlässigen Mittel verschreiben. Dann erzeugt die Sicherheit stilles Vertrauen; und der Erfolg krönt unsere Bemühungen." (3)

So wie die Zeit dahingeflossen ist seit den Tagen Hahnemanns, so hat die Qualität der Prüfungen nachgelassen. Hering, Wells und andere Homöopathen des 19. Jahrhunderts haben hervorragende Prüfungen durchgeführt, seit Kents Zeiten jedoch ist die Qualität nach und nach immer schlechter geworden. Bei vielen Prüfungen des 20. Jahrhunderts fehlt die Feinheit früherer Prüfungen. Neuere Arzneimittelprüfungen wie die, die in den Büchern von Stephenson und Julian stehen, enthalten zahlreiche nützliche Symptome, aber es fehlt ihnen insbesondere bei den Gemütssymptomen häufig an Einzelheiten.

Wir haben somit ein paar hundert wirklich gründliche Prüfungen vorliegen, und der Rest der Materia Medica setzt sich aus Teilprüfungen oder toxikologischen Berichten zusammen. Viele der Arzneimittel in Boerickes Materia Medica oder im Synthetischen Repertorium sind nur spärlich oder überhaupt nicht geprüft worden. Dadurch kommt es zu einem übermäßigen Anstieg der allgemeinen Symptome und nicht der auffallenden und charakteristischen.

In seinem Buch Lesser Writings schreibt Kent:

„Die Aufzeichnung von Symptomen aus Vergiftungsfällen hat die wenigste Aussagekraft für die homöopathische Materia Medica. Sie sind nur als zusätzliche Angaben von Nutzen." (3)

und an anderer Stelle:

„Nach Hahnemann gibt es noch nicht einmal fünfundzwanzig anständige Prüfungen. Sie lassen das aus, was sie als Einbildung bezeichnen und nehmen die pathologische Anatomie mit auf." (3)

Daran können wir sehen wie offenkundig notwendig es ist, unsere Materia Medica auf einer soliden Grundlage zu erweitern.

Aber abgesehen von einer Erweiterung der Materia Medica gibt es auch noch andere Gründe, die uns zu einer Teilnahme an Arzneimittelprüfungen veranlassen sollten.

Den größten Teil unserer Zeit als Homöopathen verbringen wir hinter dem Schreibtisch mit der Befragung der Menschen, mit dem Studieren und Bearbeiten von Fällen, weitgehend auf einer intellektuellen Fährte, die uns nicht als ganze Menschen erfaßt. Die Teilnahme an einer Prüfung eröffnet uns einen Zugang zu einer mehr unmittelbar experimentellen Seite der Homöopathie.

 

Wir erfahren etwas über uns

„Doch bleiben diejenigen Prüfungen der reinen Wirkung einfacher Arzneien in Veränderung des menschlichen Befindens und der künstlichen Krankheitszustände und Symptome, welche sie im gesunden Menschen erzeugen können, welche der gesunde, vorurteillose, gewissenhafte, feinfühlige Arzt an sich selbst mit aller ihn hier gelehrten Vorsicht und Behutsamkeit anstellt, die vorzüglichsten." § 141 (1)

Bei einer Prüfung erlangt man unmittelbares Wissen über das innere Wesen des Mittels. Eine Prüfung tatsächlich zu „sein" statt nur die Materia Medica zu lesen, ist eine völlig andere Erfahrung. Ohne Arzneimittelprüfungen wird die Homöopathie hauptsächlich zu einer intellektuellen Suche bar jeder echten Erfahrungsgrundlage.

Während der Prüfung wird man selbst zum Arzneimittel. Der Geist des Mittels dringt ins Zentrum unseres Wesens vor und beherrscht jeden Teil des Systems, genauso wie ein Virus einen Zellkern besetzt und von dort aus die Zelle für seine eigenen Zwecke lenkt. So werden wir zum Mittel, und das Mittel wird zu uns. Das ist die tiefste Ebene, auf der man unmittelbares Wissen über die Materia Medica erlangen kann.

Arzneimittelprüfungen stellen den schamanischen Aspekt der Homöopathie dar. Schamanismus ist die Medizin der direkten Erfahrung. Schon immer haben Schamanen und Heiler mit verschiedenen Arzneien experimentiert und dadurch ihre Einsicht und ihr Bewußtsein erweitert und gleichzeitig unmittelbare Kenntnisse von den Arzneien erlangt. Im Buch von Richard Grossinger Planet Medicine stellt er die schamanischen Praktiken der orthodoxen Medizin aller Zeiten gegenüber. Der Anthropologe Grossinger untersucht diese Praktiken mit großer Gründlichkeit, wobei für ihn die Homöopathie eine zeitgenössische Form des Schamanismus darstellt.

Durch das Erfahren der neuen künstlichen Persona eines Mittels reisen wir zu inneren Orten, die wir sonst nie gefunden hätten, und entschlüsseln verborgene Winkel unseres gewöhnlichen Daseins. Auf diesem Wege lernen wir genauso viel über unsere inneren Landschaften wie ein normaler Reisender Dinge über die Länder erfährt, durch die er oder sie reist.

„Ferner wird er durch solche merkwürdige Beobachtungen an sich selbst, teils zum Verständnis seiner eignen Empfindungen, seiner Denk- und Gemütsart (dem Grundwesen aller wahren Weisheit...)" Fußnote zu § 141 (1)

Ist das nicht ein interessanter Satz? Das heißt, daß man sich durch die Teilnahme an einer Arzneimittelprüfung selbst kennenlernen kann, indem man sein inneres Wesen erkennt. Dieses Wissen, wahre Selbst-Erkenntnis ist der Grundstein zur Weisheit. Eine Prüfung beleuchtet einen uns innewohnenden Teil, der bisher unerforscht geblieben ist. Die Empfindung oder das Phänomen, das während einer Prüfung aufsteigt, ist nur ein Saatkorn, das immer in uns war, ein Samen, der nie zuvor gekeimt hat oder erblüht ist. So wie Sonne und Regen den Sämling nähren, so fördert die Prüfung die embryonische Seite unseres Wesens. Wir gewinnen Einblick in einen bislang versteckten Aspekt von uns. Gleichzeitig dazu nehmen wir möglicherweise einen Aspekt des Universums wahr, der uns bisher verborgen war. Daher erfahren wir bei der Prüfung von Androctonus die innere Perspektive eines Skorpions. Wenn wir Silicea prüfen, erfahren wir das innere Wesen eines Felsens oder eines Sandkorns. Ein solches Wissen kann man nicht aus Büchern erlangen. Die Lektüre und das Verständnis von Mitteln können nie die direkte Prüfungserfahrung wiedergeben.

Hahnemann fährt fort:

„...teils aber, was keinem Arzte fehlen darf, zum Beobachter gebildet. Alle unsere Beobachtungen an andern haben das Anziehende bei weitem nicht, als die an uns selbst angestellten. ... Der Selbstversucher weiß es selbst, er weiß es gewiß, was er gefühlt hat, und jeder solche Selbstversuch ist für ihn ein neuer Antrieb zur Erforschung der Kräfte mehrer Arzneien." (1)

Das bedeutet, daß wir jedesmal bei einer Prüfung spüren, daß wir über sie hinaus noch etwas tun. Ich freue mich immer auf eine Arzneimittelprüfung, weil ich weiß, daß es ein Lernprozeß ohnegleichen ist. Manchmal ist es ein Riesenspaß und manchmal ist es übel, und es geht mir schlecht. Wie auch immer, es bleibt ein Abenteuer.

Und schließlich ist es eine der besten Möglichkeiten, die Philosophie und den Aufbau der Homöopathie zu erlernen, mit einer Gruppe von Studierenden eine Prüfung durchzuführen. Sie erlaubt über die Arznei und die verschiedenen Reaktionen des Immunsystems einen umfangreichen Einblick in die Kraft der Natur. Für mich besteht kein Zweifel daran, daß Arzneimittelprüfungen ein wesentlicher Bestandteil jedes homöopathischen Lehrprogramms sein sollten.

 

Lebenserfahrungen

Da man nur durch neue Erfahrungen lernen kann und eine Arzneimittelprüfung von ihrem Wesen her eine neue Erfahrung darstellt, wird sie zum Lernen führen oder wie es üblicherweise heißt, zu Wachstum. Wenn man lernt, wird man stabiler, widerstandsfähiger und kann sich besser schützen.

Der Unterschied zwischen einer Arzneimittelprüfung und einer einfachen Lebenserfahrung liegt in der Potenzierung und der Stärke. Freud' und Leid bedingen sich gegenseitig. Die Lektion, die mir auf der Ebene der Urtinktur erteilt wird, kann sehr stark oder heftig sein und schweren Schaden anrichten. Erleben wir Ärger, Kummer, eine Nahrungsmittelvergiftung, ein Gewitter oder einen Schlangenbiß, kann es sein, daß wir daraus lernen und mit einem entsprechenden Schaden bezahlen. Bei einer Impfung ist das ganz ähnlich: Zu einem hohen Preis bekommen wir eine gewisse Immunität. Wenn die Lebenserfahrung jedoch als eine sanfte dynamische Kraft, wie in einer Prüfung, daherkommt, dann wird sie wahrscheinlich keinen dauerhaften Schaden verursachen. Bei einer dynamischen Erkrankung wie den Masern oder durch eine dynamische Prüfung lernt man auf subtile Weise, später wieder zur Stellung Gesundheit zurück zu schwingen mit einem Zuwachs an Wissen und Abwehrkraft. Der Unterschied entspricht dem zwischen einem strengen und unfähigen Lehrer und einem, der sanft und voller Verständnis ist.

Eine Ausnahme von diesem Prozeß besteht in dem Fall, wo ein Prüfer zufällig das Simillimum bekommen hat. In diesem Fall kommt es statt zum „Lernen" zu einem Nicht-erfahren, zu einem Verschmelzen und Vergessen. Das ist dann wie in dem Text „Im Streben nach Gelehrsamkeit wird Tag für Tag etwas erworben. Im Befolgen des Tao wird Tag für Tag etwas aufgegeben."(4)

Wenn wir das Simillimum bekommen, vergessen wir. Wir vergessen unsere Schmerzen, unsere Sehnsüchte, unsere Abneigungen. Wir spüren unsere Einzelteile nicht mehr. „Wenn der Schuh paßt, ist der Fuß vergessen", oder wie es Kent ausdrückt:

„Gäbe es keine Störfaktoren, die das Innere des menschlichen Organismus in Unordnung versetzen können, so gäbe es auch keine Symptome. Wenn Sie ruhig und entspannt dasitzen, sind Sie sich weder Ihrer Augen, Ihrer Glieder noch Ihrer Haare usw. bewußt. Wollten Sie sich derselben bewußt werden, müßten Sie sich darauf einstellen und Ihre Gedanken auf die verschiedenen Teile Ihres Organismus konzentrieren, um zu wissen, ob Sie dieselben eigentlich spüren oder nicht. Solange alle Funktionen des Organismus in geregelter Weise verlaufen, spürt man nichts von seinem Körper; das bedeutet, daß man frei ist. Sobald ein Individuum sich nicht mehr in diesem Zustand der Freiheit befindet, sagt es: „Ich fühle mich ..."" (5)

 

Die Angst vor Prüfungen

„... am besten nimmt sich der Arzt vor, seine Versuche an sich selbst durchzuführen. Wenn er dies tut, gewinnt er viel für die Genauigkeit der Symptome, indem er lernt, seine Beobachtungsgabe zu trainieren und zu stärken. Und seine Gesundheit, weit davon entfernt, Schaden zu nehmen, wird auf lange Sicht einen großen Gewinn aus diesen Versuchen ziehen." (6)

„Eine korrekt durchgeführte Arzneimittelprüfung erhöht jedermanns Gesundheit. Sie hilft, Dinge in Ordnung zu bringen, die nicht in Ordnung waren. Aus diesem Grunde empfahl Hahnemann jungen Leuten jederzeit, Arzneimittelprüfungen zu unternehmen." (5)

Es ist nicht verwunderlich, daß so viele Homöopathen Befürchtungen hinsichtlich der Teilnahme an einer Arzneimittelprüfung hegen. Man überlegt sich: „Wenn ich eine Prüfung mitmache, schade ich meiner Gesundheit, ich werde krank und leide - wer braucht so etwas schon?" Es stimmt, vielleicht leidet man, aber wenn man Blues singen will, muß es einem auch erst schlecht gehen! Ein kleines Wehwehchen hier und dort hilft uns beim Wachsen und stärkt sogar unsere Gesundheit. Hahnemann schreibt:

„Er wähne auch nicht, daß solche kleine Erkankungen beim Einnehmen prüfender Arzneien überhaupt seiner Gesundheit nachteilig wären. Die Erfahrung lehrt im Gegenteile, daß der Organismus des Prüfenden, durch die mehren Angriffe auf das gesunde Befinden nur desto geübter wird in Zurücktreibung alles seinem Körper Feindlichen von der Außenwelt her, und aller künstlichen und natürlichen, krankhaften Schädlichkeiten, auch abgehärteter gegen alles Nachteilige mittels so gemäßigter Selbstversuche mit Arzneien. Seine Gesundheit wird unveränderlicher; er wird robuster, wie alle Erfahrung lehrt." (1) Fußnote zu § 141.

Nach jeder von mir durchgeführten Prüfung habe ich alle Prüfer gefragt, ob sie das Gefühl hatten, von der Prüfung profitiert zu haben oder einen Schaden davongetragen zu haben. Bei einer großen Mehrheit der Fälle (80 - 90%) hatten die Teilnehmer das Gefühl, einen Nutzen daraus gezogen zu haben, die meisten waren bereit und darauf aus, eine weitere Prüfung mitzumachen.

Es stimmt aber auch, daß eine kleine Anzahl von Prüfern nicht ganz ohne Schrammen aus der Prüfung hervorgeht. Diese Beschwerden dauern nicht lange, aber ganz selten habe ich auch von Fällen erfahren, in denen die Probleme Monate oder sogar Jahre anhielten. Das läßt uns wieder daran denken, daß die Durchführung einer Prüfung keine leichte Aufgabe ist und mit großer Sorgfalt und Verantwortung geschehen muß, wobei unser Hauptaugenmerk der Sicherheit des Prüfers gilt. Nagpaul sagt dazu:

„Der Forscher oder das forschende Team sollte die Prüfung abbrechen, sobald nach seinem oder ihrem Urteil eine Fortführung der Prüfung schädlich für die Prüfenden sein könnte ." (7)

Entscheidend ist, daß man relativ gesunde Leute auswählt und das Mittel nicht weiter wiederholt, sobald Symptome aufgetreten sind. Die Supervision sollte solange andauern, bis die Symptome nachlassen; und deshalb bin ich vorsichtig gegenüber Prüfungen, die nur kurz andauern und bei denen nach Ablauf längerer Zeit kein Follow-up gemacht wird.

Auch aus einem anderen Grund heraus sind die meisten Homöopathen heutzutage unwillig, eine Prüfung mitzumachen: Sie verschanzen sich hinter ihrer laufenden konstitutionellen Behandlung. Sie bilden sich ein, daß dieses Prüfungsintermezzo ihre Suche nach dem „heiligen Gral", dem Simillimum, das zu Gesundheit und Erleuchtung führt, zum Stillstand bringe. Eine kleine Unterbrechung sollte sie nicht am Vorwärtsschreiten hindern, und viele haben zu ihrer Überraschung festgestellt, daß die Prüfung bessere Ergebnisse erzielte als jede vorherige Behandlung! Arzneimittelprüfungen sind das Geschenk der Homöopathie an den Homöopathen, ein Geschenk, das uns dann zuteil wird, wenn wir dem Unbekannten gegenüber offen sind.

 

Prüfungsformen

Es gibt zwei Extreme bei den Prüfungen mit zahlreichen Zwischenformen. Auf der einen Seite gibt es die gut durchorganisierte, genaue und sorgfältige Prüfung mit einer großen Anzahl von Prüfern. Ihr Ziel ist es, das Wissen über ein neues Mittel vollständig und mit der Gesamtheit der Symptome, einschließlich der körperlichen, der Geistes- und Gemütssymptome über einen längeren Zeitraum hinweg darzulegen. Das Ergebnis wird zwecks klinischer Bestätigung in die Materia Medica und ins Repertorium aufgenommen. Auf diesem Wege wird die Information der Nachwelt zugänglich gemacht, auf daß sie Homöopathen vertrauensvoll und jederzeit einsetzen können. Ein derartiges Vorhaben muß natürlich mit größter Sorgfalt und Gründlichkeit durchgeführt werden. Mit dieser Prüfungsmethode werden wir uns im Detail im zweiten Teil dieses Buches befassen.

Am anderen Ende des Spektrums liegt die „formlose" oder partielle Prüfung. Dies kann eine Arzneimittelprüfung an sich selbst sein, sie kann auch zusammen mit ein paar Freunden, an einem Patienten, oder gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe durchgeführt werden. Derartige Prüfungen werden gemacht, um zu einer direkten inneren Erfahrung eines Mittels zu gelangen, entweder allein oder als Gruppe. Sie sind nicht immer zur Veröffentlichung vorgesehen oder dafür geeignet. Häufig handelt es sich um die Prüfung eines bekannten Arzneimittels. Prüfungen dieser Art wurden von vielen der damaligen Homöopathen durchgeführt. Vielleicht wachten sie an einem schönen arbeitsreichen Dienstagmorgen auf und dachten sich: „Eigentlich ist heute nicht viel los: nur 40 Patienten zur Behandlung, und ein paar Artikel, die geschrieben werden müssen, da kann ich ruhig ein Mittel einwerfen und eine kleine Prüfung machen!" Und so landeten sie bei einer kleinen Selbstprüfung. In früheren Prüfungsaufzeichnungen finden wir häufig „Dr. Jones hatte Mühe mit der Behandlung seiner Patienten, da er pausenlos lachen mußte" oder „ihm war schlecht usw." So eine Prüfung kann man jederzeit machen.

Zwischen diesen beiden Extremen gibt es viele Grauzonen. Eine Arzneimittelprüfung kann mit einem Arbeitskreis oder bei einem Seminar durchgeführt werden, indem alle Teilnehmenden eine einzige Gabe ein paar Tage vorher oder während des Seminars einnimmt und dann die Erfahrungen miteinander verglichen werden. Häufig konzentriert man sich bei diesen Prüfungen auf Träume und Gemütssymptome, um zu versuchen, hinter den tieferen Gehalt eines Mittel zu kommen. Diese Methode wurde von Jürgen Becker in Deutschland in großem Umfang angewandt und von anderen zeitgenössischen Lehrern aufgegriffen. Dahinter steht die Absicht, während der Prüfung im Seminar, das wesentliche, unbewußte Thema eines Mittels ans Tageslicht zu bringen. Verstärkt wird es noch durch die Diskussion über die Erfahrung in der Gruppe, um die zentrale Idee aufzudecken und zu formulieren.

Der Vorteil dieser Methode ist die Möglichkeit, daß sie eine Abkürzung zur inneren Essenz eines Mittels ist. Die große Anzahl versammelter Homöopathen ist ideal für eine kurze Prüfung. Auf der anderen Seite verpassen wir möglicherweise die größere Totalität der körperlichen, allgemeinen und anhaltenden Symptome, die eine vollständige Prüfung ausmachen, so als ob man die Kirsche und den Zuckerguß ohne den Kuchen essen wollte. Diese körperlichen und allgemeinen Symptome mögen verglichen mit den Gemütssymptomen und den Träumen langweilig erscheinen, aber sie sind ein wesentlicher Bestandteil des homöopathischen Arzneimittels. Die vollständige Gesamtheit der Symptome ist der sicherste Führer auf der Suche nach dem Simillimum. (siehe Organon § 7)

Ein anderer Grund für partielle Prüfungen liegt darin, ein Mittel „legalisieren" zu können. Einige Länder akzeptieren Mittel, die geprüft worden sind, daher ist es rechtlich gesehen nützlich, kurze Prüfungen für ein Mittel durchzuführen, damit es einen Eintrag im amtlichen Arzneibuch bekommt.

Im übrigen sind jedoch die häufigsten Prüfungen diejenigen, die die Patienten durchmachen, die ein unähnliches Mittel bekommen haben. Die verordnete Medizin erzeugt bei einem empfindlichen Patienten spontan Prüfungssymptome (Siehe Organon § 156 und 256 ). So etwas kommt sehr oft vor und stellt eine wertvolle Quelle an Symptomen dar. Leider hält man es in vielen Fällen fälschlicherweise für Verschlimmerungen, Heilkrisen, die Rückkehr alter Symptome oder meint „jetzt kommt alles raus".

Diese ganzen Methoden stellen ein breit gefächertes Angebot von Ansätzen dar, die genauso wie die Homöopathie selbst umfassend und häufig umstritten sind. Jede verfolgt einen anderen Zweck, und alle sind gültige und nützliche Wege, um die homöopathische Erfahrung zu bereichern.

 

Reaktionen auf die Mittelgabe

Befassen wir uns nun mit allen nur denkbaren Reaktionen auf ein Mittel während der Arzneimittelprüfung. Sie hängen hauptsächlich von der Wechselwirkung zwischen der Anfälligkeit des Prüfers und der Eigenart des geprüften Mittels ab. Weitere Faktoren sind Potenz, Empfindlichkeit, Dosis, Wiederholung und die Wahl des Zeitpunkts.

Da das geprüfte Mittel eine völlig zufällige Beziehung zu einem relativ gesunden Prüfer hat, ist die Kombination möglicher Reaktionen unendlich. Wenn wir aber doch einmal grob die verschiedenen Reaktionen in Gruppen einteilen, tauchen drei Hauptkategorien auf je nach Art der Beziehung zwischen künstlichem Krankheitswirkstoff (Mittel) und Mensch: allopathisch, antipathisch und homöopathisch. (Siehe Organon § 22, 23, 24 und 58 - 62)

 

Die homöopathische Reaktion

Bei jeder Prüfung besteht statistisch die Möglichkeit, daß einige der Prüfenden zufällig ihr Simillimum bekommen. Wenn ein Patient mit einer Hydrogenium-Krankheit Hydrogenium prüft, wird diese geheilt. Es ist verblüffend festzustellen, wie vielen Menschen es nach einer Prüfung besser geht. Bei jeder meiner Prüfungen gab es immer wieder ein paar glückliche Prüfer, die feststellen konnten, daß sich ihre Gesundheit wesentlich und insgesamt verbessert hatte. Eine typische Reaktion ist die von einer Besserung gefolgte Erstverschlimmerung, oder nur eine schöne lange Besserung so wie sie bei Kents 12 Arzneimittelreaktionen als Ziffer 3 und 4 aufgeführt sind. Das heißt mit anderen Worten, daß das Prüfungsmittel ein sehr nahes Simile war oder das bislang schwer faßbare Simillimum!

In solchen Fällen werden die geheilten Symptome als Prüfungssymptome hinzugefügt. Es ist jedoch unerläßlich, die genaue Art des Symptoms direkt vor der Heilung zu ermitteln. (Siehe Abschnitt über die Auswertung der Ergebnisse)

 

Simillimum und Prüfung

So entstand in mir die Frage nach dem eigentlichen Unterschied zwischen verordnetem Arzneimittel und einer Prüfung. Das erste wählt man, um eine bessere Gesundheit zu erzielen, letzteres soll Krankheit hervorrufen. Und dennoch können wir beobachten, daß einige Verschreibungen Krankheit produzieren während einige Prüfungen die Gesundheit fördern. Gewissermaßen liegt der Unterschied zwischen Prüfung und Verschreibung in der Absicht des Homöopathen und des Prüfers. Das ist ein schwer meßbarer Wert, und die Resultate halten der Theorie nicht immer stand. Praktisch gesehen glaube ich, daß sich Absicht im wesentlichen über die genaue Auswahl des ähnlichen Mittels manifestiert.

Der Hauptunterschied zwischen Prüfung und Simillimum besteht darin, daß die Prüfung neue Symptome hervorbringt, während das Simillimum alte Symptome wieder zum Vorschein bringt (und die pathologischen Symptome zum Verschwinden). Mir wurde klar, daß das einzige Mittel, das nie eine Prüfung herbeiführen kann, das Simillimum war (richtiges Mittel in der richtigen Potenz und Dosierung zum richtigen Zeitpunkt ). Deshalb stellte ich folgende Gesetze auf:

Das Simillimum ist das Mittel, das nichts Neues hervorruft

oder
das Simillimum ist das Mittel, das zu keiner Prüfung führt

oder
eine Prüfung kann nur dann auftreten, wenn das Mittel nicht das Simillimum ist.

Daran anschließend können wir uns auch darüber Gedanken machen, ob nicht jede ungenaue homöopathische Verschreibung zu einer Prüfung führt (siehe Organon § 156 und 256), die Homöopathen häufig irrtümlicherweise für eine Verschlimmerung oder Heilkrise halten.

 

Antipathische Reaktion

Bei einem antipathischen Arzneimittel wird die Reaktion erst Besserung sein, auf die dann eine Verschlimmerung folgt. Das bedeutet, daß die Erstreaktion bei der Prüfung ein Gefühl von Wohlbefinden oder eine Besserung der Symptome sein wird, gefolgt von einer Verschlechterung oder Verschlimmerung im Zustand des Prüfers. Im klinischen Bereich würde man es eher als unglückliche Entwicklung ansehen, die antidotiert werden muß, was im Normalfall ein Hinweis darauf ist, daß die Verschreibung oberflächlich war oder die Organpathologie schon zu weit fortgeschritten ist (Kents Arzneimittelreaktion Ziffer 5). Wenn der Prüfer jedoch recht gesund ist, sollte er in der Lage sein, nach Abklingen der antipathischen Wirkung auf dynamische Weise zu seinem ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Für den Fall daß nach Ablauf einer angemessenen Zeit keine Besserung eintritt, sollte man antidotieren (siehe Abschnitt über das Antidotieren einer Prüfung). Üblicherweise ist das ein Zeichen dafür, daß der Prüfer nicht gesund genug war und nicht wieder zurückschwingen konnte.

 

Allopathische Reaktion

Die dritte mögliche Reaktion ist die allopathische, sie ist am häufigsten. Sie tritt dann auf, wenn das Arzneimittel in keiner homöopathischen oder antipathischen Beziehung zur Anfälligkeit des Prüfers steht. Je geringer der direkte Bezug zum Prüfer um so allopathischer die Reaktion. Wegen der lockereren Beziehung zwischen Mittel und Prüfer wird es proportional dazu weniger Symptome in der Prüfung geben. Je unähnlicher ein Mittel, desto weniger Symptome. Um in solchen Fällen Ergebnisse zu erzielen, muß das Mittel häufiger wiederholt werden, wobei die Wirkungen eher lokal und allgemein sein werden. Diese Beobachtungen habe ich in folgendem Gesetz zusammengefaßt:

Die für eine Veränderung des Zustands notwendige Stärke der Dosis und der Wiederholung stehen in umgekehrtem Verhältnis zur Ähnlichkeit.

Deshalb müssen ungenauere Verschreibungen häufiger wiederholt werden (und in niedrigeren Potenzen). Während es zwar theoretisch nur ein Simillimum gibt, gibt es unendlich viele allopathische Beziehungen zwischen Prüfer und Arzneimittel mit einer großen Spanne von Möglichkeiten. Jeder einzelne Prüfer beleuchtet einen anderen Aspekt des Arzneimittelbildes. Hahnemann sagt deshalb auch in § 135 (1), daß eine Prüfung nur dann zu einem Abschluß gebracht werden kann, wenn Menschen verschiedener Konstitutionen und beiderlei Geschlechts daran teilnehmen.

Jede Konstitution bringt einen anderen Aspekt des Mittels hervor. Wenn wir Neon prüfen, entwickelt jede Person eine andere Symptomatik. Beim einen wird der Hals betroffen sein, bei einem anderen die Füße oder das Gemüt. Je unterschiedlicher die Empfänglichkeiten desto unterschiedlicher die Symptome (siehe § 134 im Organon ). Ein Calcium carbonicum-Prüfer zeigt die Neonsymptome von Calcium carbonicum. Ebenso wird es bei einem Sulfur-Prüfer zu einer Überlappung von Neon und Sulfursymptomen kommen.

Die Symptome, die durch eine allopathische Beziehung hervorgebracht werden, sind eine Mischung von konstitutionellen Symptomen und Symptomen des Mittels. Je größer der Abstand in der Beziehung, desto „neuer" die Symptome. Wenn wir es uns jedoch recht überlegen, gibt es nichts in der Welt, das wahrhaft „neu" wäre, alles ist schon einmal dagewesen. Jedes Symptom im Patienten hat es als Samenkorn bereits gegeben, verborgen im Sand der Zeit. Es ist das jeweils Neue oder Bekannte an einem Symptom, das auf die Beziehung zwischen Prüfmittel und dem Simillimum des Prüfers hindeutet.

„(wird die ... nur unvollkommen homöopathische Arznei) ...Nebenbeschwerden erregen, und mehre Zufälle aus ihrer eignen Symptomenreihe in das Befinden des Kranken einmischen, die aber doch zugleich, obschon bisher noch nicht oder selten gefühlten Beschwerden der Krankheit selbst sind;" §180. (1)

 

Primäre und sekundäre Symptome

Wir stellen daher fest, daß antipathische und homöopathische Reaktionen sich recht ähnlich sind, aber in umgekehrter Reihenfolge auftreten, erst Besserung dann Verschlimmerung, oder erst Verschlimmerung und später Besserung. Dies ist nur ein Ausdruck der primären und sekundären Wirkungen des Mittels, das eine anscheinend „gut" und das andere scheinbar „schlecht". Das erklärt auch, warum es den meisten Prüfern irgendwann während der Prüfung sehr gut geht oder sie bester Laune sind. Man muß unterscheiden zwischen diesen „Hoch"-Zuständen, die durch Lachen und Fröhlichsein gekennzeichnet sind und einer tatsächlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes, die immer von innen heraus ein Gefühl der Harmonie entstehen läßt.

In Wahrheit aber gibt es bei keinem Mittel eine feststehende primäre oder sekundäre Reaktion. Primär und sekundär sind nur Aspekte der Dualität, ihre Reihenfolge kann sich den Umständen entsprechend umkehren. Diese Umstände werden bestimmt durch Anfälligkeit, Potenz und die Zeit. Auch zahlreiche andere Faktoren können eine Rolle spielen, möglicherweise sogar der Bewußtheitsgrad des Beobachters. Unter anderem aufgrund der großen Verwirrung in Hinblick auf primäre und sekundäre Reaktionen, kam Kent zu dem Schluß, aus praktischen Erwägungen besser keine Unterscheidung zu treffen.

Opium wird bei einigen beispielsweise Durchfall, gefolgt von Verstopfung hervorrufen, und bei anderen Verstopfung gefolgt von Durchfall oder sogar beides in einem Prüfer zu einem anderen Zeitpunkt oder bei anderer Potenzierung beides in einem Prüfer. Während der Prüfung von Hydrogenium hatte ein Prüfer unmittelbar das Gefühl, nach unten gezogen zu werden, und zugleich begannen andere Prüfer die Prüfung mit dem Gefühl, nach oben zu schweben.

Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen manche Prüfer bei späteren Prüfungen die umgekehrte Abfolge von primären und sekundären Reaktionen erleben. Bei einer Prüfung mit Hydrogenium C6 beispielsweise fühlte sich eine Prüferin angenehm weicher und weiblicher zusammen mit körperlichen Symptomen wie weniger Behaarung im Gesicht und Vergrößerung des Busens. Als sie jedoch sechs Monate später erneut das Mittel in der C 30 prüfte, entwickelte sie entgegengesetzte männliche Symptome und Eigenschaften.

Es taucht hierzu noch ein weiterer Punkt auf: die scheinbar widersprüchliche Aussage der Klassiker zur relativen Bedeutung von primären kontra sekundären Symptomen während einer Prüfung. Hahnemann erwähnt in § 137:

„...desto deutlicher kommen die Erstwirkungen und bloß diese, als die wissenswürdigsten hervor und keine Nachwirkungen oder Gegenwirkungen des Lebensprinzips." (1)

Hieraus und aus früheren Schriften (8) ergibt sich, daß Hahnemann der Ansicht war, die primäre Reaktion sei die wichtigste. Die meisten der Kurzprüfungen konzentrieren sich auch auf diese Wirkungen.

Hering und Boenninghausen behaupten jedoch, daß die zuletzt auftretenden Symptome (d.h. die sekundäre Reaktion) die wichtigsten sind.

1844 schreibt Hering folgenden Text:

„...es kann gar keine sogenannten nützlichen primären und unnützen sekundären Wirkungen geben. Letztere hat man irrtümlicherweise auf eine krankhafte Reaktion zurückgeführt, man bezeichnete sie als entgegengesetzte Wirkungen, ohne überhaupt zu wissen, was unter Gegensatz zu verstehen ist. Je länger und dauerhafter und je entgegengesetzter diese späten Wirkungen sind, um so nützlicher sind sie für den Arzt.

(Die Hervorhebung ist von mir. JS) (9)

Hahnemann blieb jedoch offensichtlich nur in seinen frühen Jahren, in denen er die Mittel noch in toxikologischer Dosis prüfte, bei seiner Auffassung über die Bedeutung der primären Reaktion. Als er damit begann, die Mittel in potenzierter Form zu prüfen, änderte er seine Meinung dazu, so daß er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Chronischen Krankheiten voll und ganz von der Wichtigkeit der späteren sekundären Symptome überzeugt war. (9)

Wie auch Kent glaube ich, daß primäre und sekundäre Reaktionen gleichwertig sind und den Umständen entsprechend in umgekehrter Reihenfolge auftreten können. Alle Symptome, die ein Mittel hervorruft, sind nämlich von Wert, ungeachtet der Abfolge ihres Auftretens. Nur durch das Wahrnehmen der dualen Natur des Mittels und ohne auf die Reihenfolge zu achten, sind wir in der Lage, seine Wirkungsweise ganz zu verstehen.

 

Totalität

Die Reaktion wird auch vom Ausmaß der Totalität abhängen, die den Prüfer auf eine der drei Arten erfassen wird: allopathisch, homöopathisch oder antipathisch. Ein Mittel kann antipathisch sein, aber nur im Hinblick auf eine lokale Beschwerde, die es vorübergehend bessert, bevor es zur Verschlimmerung kommt. Wenn beispielsweise die Überschneidung zwischen Mittel und Prüfer nur darin besteht, daß der Prüfer warme Füße bekommt, wo doch das Mittel kalte Füße hervorruft, werden die Füße eventuell erst kalt und dann wärmer. Oder das Mittel deckt eine lokale Beschwerde wie Akne ab, die dann vorübergehend unterdrückt wird. Ein Arzneimittel, das nur eine Teiltotalität erfaßt, wird nie wirklich heilen können.

In einigen Fällen wird das Mittel die Gesamtheit der Symptome eines Prüfers in homöopathischer oder antipathischer Beziehung abdecken (nie jedoch allopathisch). Das sind Fälle, die die größte Empfindlichkeit gegenüber diesem ganz besonderen Mittel aufweisen und daher zu den besten Prüfungen führen.

 

Empfindlichkeit

Neben der Empfänglichkeit des Prüfers für das Mittel ist für die Qualität der Reaktion die Empfindlichkeit der wichtigste Faktor. Sie kann sich von einer übergroßen Empfindlichkeit bis hin zum völligen Reaktionsmangel erstrecken. In einer solchen Situation gibt es zwei Arten von empfindlichen Prüfern: Diejenigen, die nur gegenüber diesem Mittel empfindlich sind, und diejenigen, die allgemein empfindlich reagieren. Die zuletzt genannte Gruppe prüft jedes Mittel, so wie es Kent in der Ziffer 8 seiner Mittelreaktionen beschreibt. Diese Menschen sind außerordentlich nützliche Prüfer, jedoch häufig nur schwer zu heilen, da bei ihnen jedes in der Nähe liegende Mittel aber eben nicht das genau zutreffende zu einer Prüfungsreaktion führen wird. Diese Überempfindlichkeit kann man bei Frauen häufiger beobachten, obwohl es bei Männern möglicherweise auch zutrifft. Sie tritt oft bei Menschen auf, die generell sensibel gegenüber Eindrücken und Umweltfaktoren sind oder die in irgendeiner Weise übersinnliche Wahrnehmungen haben.

Ein feinfühliger Prüfer kann die ganze Prüfung „liefern", indem er die tiefsten Aspekte des Mittels auf wunderbare Weise ans Licht bringt. Hahnemann befürwortete eindeutig die Prüfungen dieser „idiosynkratischen" Prüfer:

„Zu den letztern gehören die sogenannten Idiosynkrasien, worunter man eigne Körperbeschaffenheiten versteht, welche, obgleich sonst gesund, doch die Neigung besitzen, von gewissen Dingen, welche bei vielen andren Menschen gar keinen Eindruck und keine Veränderungen zu machen scheinen, in einen mehr oder weniger krankhaften Zustand versetzt zu werden. .............Daß diese Potenzen wirklich auf jeden Körper diesen Eindruck machen, sieht man daraus, daß sie bei allen kranken Personen für ähnliche Krankheitssymptome, als die welche sie selbst (obgleich anscheinend nur bei den sogenannten idiosynkratischen Personen) erregen können, als Heilmittel homöopathische Hilfe leisten." § 117 (1)

Die wichtigsten Prüfungssymptome stammen häufig von ein oder zwei empfindsamen Prüfern, die anderen dienen dazu, die große Menge an allgemeinen Symptomen zusammenzutragen.

„Einige Symptome werden von den Arzneien öfter, das heißt, in vielen Körpern, andere seltener oder in wenigen Menschen zuwege gebracht, einige nur in sehr wenigen gesunden Körpern." § 116 (1)

So manche der wohlbekannten Leitsymptome eines Mittels oder „Mittelbilder" stammen von einem oder zwei idiosynkratischen oder feinfühligen Prüfern. Dies schafft ein Paradox, denn diese Symptome sind im Repertorium normal gedruckt, da sie nur bei einem einzigen Prüfer vorgekommen sind. Dennoch können diese Symptome die innerste Natur des Mittels darstellen. Diese Tatsache allein läßt an der Bedeutung zweifeln, die zahlreiche Homöopathen den fettgedruckten Symptomen im Repertorium beimessen. Selbstverständlich sind sie wichtig, aber es kann ein normal gedrucktes Symptom sein, das den Schlüssel zu einem bestimmten Mittel liefert.

Wie schon gesagt, ist ein feinfühliger Prüfer ein Gewinn für jede Prüfung. Eventuell gefällt einigen die neue Erfahrung, und sie sind bereit, eine Prüfung nach der andern zu machen. Da sie natürlich immer dieselbe Person sind, scheinen die Symptome während der Prüfungen einen gemeinsamen roten Faden zu haben. Das schmälert nicht den Wert der Symptome, denn sie stellen ohnehin immer eine Mischung aus Mittel und Konstitution dar.

„(Der Prüfer) hat eventuell eine sogenannte Idiosynkrasie, einen Schwachpunkt, und ist dennoch ohne weiteres zu physiologischen Experimenten in der Lage. Die Symptome, die er gerade durch seine Idiosynkrasie hervorbringt, können durchaus als Teil der Arzneiwirkung verstanden werden. Ist denn Idiosynkrasie nicht eigentlich nur eine zugrundeliegende Bereitschaft, auf die ein spezifischer Umstand heftiger als üblich einwirkt? An sich ist es nur die bereits vorhandene Prädisposition, die, etwas empfindlicher als sonst, zum Auslöser wird. Eine Prädisposition ist immer Vorbedingung sowohl für die Wirkung der Arznei als auch für die des Krankheitserregers." (6)

Viele der Prüfungen von Hahnemann wurden von feinfühligen Prüfern durchgeführt. Da einige ihrer Symptome sich in verschiedenen Prüfungen wiederholten, kam Zweifel an ihrer Gültigkeit auf. Diese Arzneimittelprüfungen sind jedoch seither mehrfach klinisch bestätigt worden.

„Denn da zu diesen, so wie zur Hervorbringung aller übrigen krankhaften Befindensveränderungen im Menschen, beide, sowohl die der einwirkenden Substanz innewohnende Kraft, als die Fähigkeit der, den Organismus belebenden geistartigen Dynamis (Lebensprinzips), von dieser erregt zu werden, erforderlich ist, so können die auffallenden Erkrankungen in den sogenannten Idiosyncrasien, nicht bloß auf Rechnung dieser besonderen Körperbeschaffenheiten gesetzt, sondern sie müssen von diesen veranlassenden Dingen hergeleitet werden, in denen zugleich die Kraft liegen muß, auf alle menschlichen Körper denselben Eindruck zu machen, nur daß wenige unter den gesunden Körperbeschaffenheiten geneigt sind, sich in einen so auffallend kranken Zustand von ihnen versetzen zu lassen."

§ 117 (1)

Am anderen Ende des Spektrums der empfindlichen Menschen, finden wir die mit einem Reaktionsmangel, die nur dann und wann einmal von irgendeinem Mittel etwas spüren. Das tritt bei Männern prozentual gesehen häufiger auf. Diese Personen sind schlechte Prüfer und nur schwer zu heilen.

 

Potenzierung

Eine weitere Variable ist die Potenz des Mittels bezogen auf die Empfänglichkeit des Prüfers. Dazu habe ich keine abschließende Meinung, ich kann nur aus der Erfahrung meiner Prüfungen sagen, daß es keinen Hinweis auf die allgemeine homöopathische Auffassung gegeben hat, daß Hochpotenzen auf das Gemüt einwirken und niedrige Potenzen auf den Körper. Viele der auffallendsten Symptome bei den Prüfungen von Schokolade und Hydrogenium wurden durch niedrige Potenzen hervorgerufen, d.h. C 6.

Von 305 Gemütssymptomen bei Hydrogenium entstanden 61 durch eine C 6 (2 Prüfer), 17 durch eine C 9 (1 Prüfer), 27 durch eine C12 (3 Prüfer), 3 durch eine C 15 (2 Prüfer), 140 durch eine C 30 (3 Prüfer) und 56 durch eine C 200 (4 Prüfer). Wir können die durchschnittliche Anzahl von Gemüts- und Geistessymptomen pro Prüfer für jeden Potenzierungsgrad ausrechnen.

Bei der Hydrogenium Prüfung sah der Durchschnitt der Gemüts- und Geistessymptome pro Prüfer folgendermaßen aus : C 6 = 30.5, C 9 = 17, C 12 = 9, C 15 = 1.5, C 30 = 46.6, C 200 = 14

Es scheint in diesem Fall keinen klaren Bezug zwischen Gemütssymptomen und Potenz zu geben.

Allerdings müssen wir nur ein Mittel wie etwa Plumbum, das im wesentlichen aus toxischen Dosen hergestellt wurde, näher untersuchen, um zu sehen, was die Urtinktur im Geist bewirken kann. Ich glaube, daß der Unterschied zur Prüfung mit höheren Potenzen darin liegt, daß sie bei einem feinfühligen Prüfer eher dynamische Symptome hervorrufen.

In dieser Hinsicht zerstreut eine sorgfältig durchgeführte Prüfung auch den Mythos, daß eine Krankheit immer im Gemüt beginnt, denn meine Erfahrung hat gezeigt, daß viele Prüfer körperlich betroffen werden, lange Zeit bevor Geistessymptome auftreten. Man könnte behaupten, daß die geistigen Symptome für den Prüfer nicht erkennbar waren, aber das könnte auch für körperliche Symptome gelten. Hinzu kommt, daß die Supervision sehr streng war, so daß man derart feine Veränderungen aufspüren konnte.

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, gab es auch noch eine andere interessante Wirkung: Bei aufeinanderfolgenden Prüfungen einer Person mit unterschiedlichen Potenzen kam es zu einer Umkehrung der primären und sekundären Wirkung. Vielleicht kann man es auf das Arndt-Schulz'sche Gesetz aus dem Jahre 1888 zurückführen, demzufolge Medikamente bei unterschiedlichen Dosierungen ihre Wirkung umkehren. Forschungsarbeiten von Paul Callinan (10) besagen, daß eine umfassende Untersuchung dieser Frage klinisch gesehen von unschätzbarem Wert wäre. Hering hatte diese Wirkung begriffen:

„Alle Symptome aus Prüfungen mit Hochpotenzen sind gleich den Spätwirkungen der Niedrigpotenzen oder der sogenannten stärkeren Gaben. Aber sie ähneln nicht den Erstwirkungen der zuletzt genannten. Prüfungen von Niedrigpotenzen produzieren somit während der letzten Tage die gleichen Symptome wie die Hochpotenzen gleich zu Anfang." (9)

 

Störfaktoren

„Die dazu gewählte Versuchsperson (...); keine dringenden Geschäfte dürfen sie von der gehörigen Beobachtung abhalten; sie muß mit gutem Willen genaue Aufmerksamkeit auf sich selbst richten und dabei ungestört sein; in ihrer Art gesund an Körper, muß sie auch den nötigen Verstand besitzen, um ihre Empfindungen in deutlichen Ausdrücken benennen und beschreiben zu können." § 126 (1)

Vor der Prüfung von Androctonus hatte ich mir zu diesem Thema Gedanken gemacht. Ich ging von der Grundvoraussetzung aus, daß es für Menschen interessant sein könnte, ihr Leben im Stil des 20. Jahrhunderts weiterzuführen, mit Stimulantien wie Alkohol, Kaffee, Fernsehen, Prüfungen, Kino usw., so daß man die Auswirkungen der Prüfung auf diese Lebensumstände beobachten könnte.

Später begriff ich, daß diese äußeren Einflüsse nur Hindernisse zur Heilung sind, „Lärm" oder Verschmutzung, und daß sie den menschlichen Stoffwechsel befallen und den leisen Gang des Arzneimittels undeutlich werden lassen. Hahnemann drückt diesen Gedanken auf wunderbare Weise aus:

„Die sanftesten Flötentöne, die aus der Ferne, in stiller Mitternacht, ein weiches Herz zu überirdischen Gefühlen erheben und in religiöse Begeisterung hinschmelzen würden, werden unhörbar und vergeblich, unter fremdartigem Geschrei und Tags-Getöse."

Fußnote zu § 261 (1)

Wesentlich ist es, den Kern wahrzunehmen, die feinen Empfindungen und Funktionen. Dieser Kern bleibt derselbe ungeachtet des Jahrhunderts, in dem wir leben und der Einflüsse, die uns umgeben. Aus diesem Grunde können wir die Mittel Hahnemanns immer noch mit Erfolg einsetzen, obwohl in der Prüfung nicht gesagt wird, welchen Wagentyp der Prüfer bevorzugte.

Ein dynamisches Mittel ist so sanft und so subtil, daß ein unverfälschter Organismus sehr viel besser geeignet ist, seine feine Ausstrahlung aufzunehmen. Ein lautes, aufgeregtes Gefährt könnte die Botschaft nicht rein übermitteln. Mit die beste Prüferin, die ich kenne, fastet oft einige Tage vor einer Prüfung.

Andererseits kann man vor der Prüfung nicht immer drei Wochen in ein Sanatorium fahren, gesund essen und keine Zeitung lesen. Mit völlig giftfreien Prüfenden zu arbeiten, wäre wunderbar, leider aber ist es nicht durchführbar. Wir haben weder das Geld noch die Zeit, um Menschen die Gelegenheit zu geben, ihren Alltag zu verlassen. Ich konnte feststellen, daß Prüfer feinfühlig genug waren, wenn sie sich in vernünftigem Rahmen um ihre Gesundheit kümmerten. Wenn ein Prüfer sich am ersten Tag der Prüfung betrinkt, werden wir wahrscheinlich kein deutliches Bild bekommen. Ich empfehle den Prüfern, soweit es ihnen möglich ist, ein verschmutzungsfreies Leben zu führen, wobei das für jeden etwas anderes bedeutet. Man kann von gewohnheitsmäßigen Teetrinkern oder Rauchern nicht erwarten, daß sie ihre Gewohnheit aufgeben. Falls sie auf Tee, Zigaretten oder Alkohol verzichten können, sollten sie mindestens drei Wochen vor Beginn der Prüfung damit beginnen. Dunham schreibt zu diesem Thema:

„Während einer Prüfung sollte der Prüfer keine Arzneien, Kosmetika und Parfums benutzen, sollte aber nicht übermäßig von seinen Eß- und Lebensgewohnheiten abweichen. Gewohnheiten, die schon zu einer „zweiten Natur" geworden sind, sollten maßvoll weitergepflegt werden, denn ein abruptes Unterbrechen führt unverzüglich zu einem krankhaften Zustand." (23)

Nützlich ist es auch, wenn man sich, so weit es möglich ist, nicht um dringende geschäftliche Dinge kümmern muß. Trotzdem, einen perfekten Zeitpunkt gibt es nie, wir sollten daher in dieser Hinsicht flexibel sein.

„Der Tagesablauf sollte regelmäßig sein, nicht mehr als sonst auch: Er sollte im normalen Erlebnisbereich des Prüfers liegen. Streßsituationen wie Prüfungen, Ängste und größere Streitgespräche, besonders dann, wenn der Prüfer nicht daran gewöhnt ist, beeinträchtigen die Arzneimittelprüfung." (13)

 

Zufällige Erkrankungen

Man sollte während der Prüfung besonders auf zufällige äußere Faktoren achten, die den Prüfer in Mitleidenschaft ziehen und zu unechten Symptomen führen können. Unter anderem sind das Infekte, Epidemien, Erkältungen, Berührung mit schädlichen Einflüssen und Giften einschließlich verschiedenartigster Verunreinigungen. Außerdem können äußere emotionale Faktoren wie Kummer, Schock, Schreck usw. auf den Patienten einwirken und Symptome hervorrufen, die keinen Bezug zur Prüfung haben.

Einige werden natürlich behaupten, diese äußeren Faktoren seien nur ein Spiegelbild der Prüfung und kein äußeres Ereignis, sie sollten daher mit in die Prüfung aufgenommen werden. Ich meine aber, daß irgendwo eine Grenze zwischen dem Individuum und der Außenwelt gezogen werden muß, so wie auch jede Zelle eine äußere Membran hat.

Bei allen Fällen, in denen starke äußere Kräfte wirken, oder kräftigere unähnliche Krankheiten, ist es ratsam, die dazugehörenden Symptome auszuschließen oder die Prüfung bei schwerwiegenden Ereignissen zu beenden. Lippe hierzu:

„Eine Epidemie mit Infektion der oberen Atemwege unter den Prüfern und anderen Studenten stellte ein weiteres Problem dar. In mehreren Fällen wurde die Prüfung aus diesem Grunde abgebrochen. Glücklicherweise wurden einige dieser Erkältungen gut dokumentiert. In einem der betroffenen Fälle war ein Placebo gegeben worden, diese Eintragungen konnten für die vergleichende Analyse genutzt werden. Schließlich kamen wir zu dem Schluß, daß die Erkältungssymptome prüfungsunabhängig waren. Bezeichnenderweise wurde keiner von denen, die während der Prüfung andere Symptome bekamen, von der Epidemie befallen. Dies mag als Beispiel für die Idee gelten, die in § 36 des Organons geäußert wird, daß wenn zwei unähnliche Krankheiten aufeinandertreffen, die kräftigere die schwächere abhält." (14)

 

„Als sei es nur eine Person"

Eine Arzneimittelprüfung stellt eine künstliche Epidemie dar. Alle einzelnen Teilnehmer werden zu einem ganzen und vereinten Wesen. Sie teilen eine gemeinsame Quelle, und ihre Lebenskraft verschmilzt miteinander. Der wesentliche gemeinsame Aspekt zwischen Epidemie und Prüfung ist somit der Faktor „als sei es nur eine Person". Bei der Prüfung von Neon war es so, als ob wir alle miteinander zu einem Neonwesen geworden seien. Nagpaul äußert sich zu Prüfungen so:

„Es gibt gewisse Arten von Experimenten, die kann man nur allein machen. Das gilt jedoch nicht für Arzneimittelprüfungen. Jede Prüfung ist eine gemeinschaftliche Unternehmung." (7)

Was können wir daraus praktisch folgern? Bei der Prüfung von Hydrogenium habe ich den Versuch unternommen, den Vorgang der Erfassung und Zusammenstellung durch das Delegieren von Aufgaben zu beschleunigen. Anstatt alles selbst zu machen, wie ich es bei Androctonus getan hatte, übergab ich die ganze Arbeit den Studierenden, die dann die Symptome extrahiert haben und die Erfassung und Zusammenstellung erledigten. Dieses Experiment ging nicht gut aus, da jeder einzelne einen abgetrennten, fragmentarischen Teil der Prüfung aus einem ganz persönlichen Blickwinkel wahrnahm und es somit gar keinen Faktor „als sei es nur eine Person" gab. Mir wurde klar, daß diese Idee „als sei es nur eine Person" auch in der Realität ihr Spiegelbild finden muß. Nur wenn eine Person den gesamten Prozeß beherrschte, würde auch die Prüfung den notwendigen Zusammenhalt haben. Diese Person sollte die Gruppe als einen Gesamtorganismus wahrnehmen und nicht als Teilstücke. Er oder sie sollte die Prüfung vom allerersten Anfang bis hin zum Abschluß begleiten, möglicherweise sogar verschiedene Stränge zu einem Bündel zusammenfügen. In der Praxis wird das in folgenden Bereichen deutlich:

- Verwendung der gleichen Kriterien bei der Auswahl der Symptome

- Erkennen von ähnlichen Symptomen bei verschiedenen Prüfern

- Erspüren des übergeordneten Themas der Prüfung als Hilfestellung bei der Entscheidung über Bestätigung oder Ablehnung eines Symptoms

- Benutzung eines einheitlichen Sprachformats (Grammatik und Wortwahl)

- Übereinstimmung beim „Zerlegen" von umfangreichen Symptomen

Ein kleines Team von zwei Personen ist in der Lage, diese Einheit zu wahren, bei dreien ist oft schon einer zuviel.

 

Das kollektive Unbewußte

Ich habe bei Prüfungen wiederholt die Erfahrung gemacht, daß Personen, die nicht direkt an der Prüfung teilnahmen, aber den Prüfern nahestanden, Symptome an sich erlebten, die mit der Prüfungssymptomatik übereinstimmten. So zogen sich bei der Prüfung von Diamant einige Prüfer Verletzungen und Zerrungen an Sehnen und Bändern an Fuß- und Handgelenken zu. Aber abgesehen von den Prüfungsteilnehmern gab es auch noch zahlreiche „Außenstehende" - Supervisoren, Prüfer eines Placebos, andere Kommilitonen oder enge Verwandte - die ganz ähnliche Verletzungen bekamen, was sonst gar nicht in ihrer Art lag. Dieses „Echo" von körperlichen, geistigen und emotionalen Symptomen ist immer wieder auch bei anderen Prüfungen aufgetreten. Ich habe diese „zusätzlichen" Symptome nie mit in die Veröffentlichung der Prüfung aufgenommen, aber es handelt sich um ein interessantes und wegweisendes Phänomen, das in der modernen Physik und der Jungianischen Psychologie seine Bestätigung findet. Pendel, die nah beieinander schwingen, laufen nach einiger Zeit synchron. Frauen, die miteinander leben, haben häufig ihre Menses gleichzeitig. In vielerlei Hinsicht gleicht es der Idee der sporadischen Erkrankungen - ähnliche Erkrankungen bei weit voneinander entfernten, fremden Personen. Für Hahnemann lag dies an meteorischen und tellurischen, d.h. energetischen, Einflüssen in der Umwelt. (siehe Organon § 73) Solche Vorkommnisse sind auch von anderen zeitgenössischen Prüfern gemeldet worden, darunter Jürgen Becker und Rajan Sankaran. Dieses Phänomen wirft auch die Frage auf, ob es sinnvoll ist, bei Prüfungen Placebos zu verabreichen.

Wenn wir diesen Gedanken auf einen größeren Bereich ausdehnen, kann es nicht überraschen, daß während einer Prüfung eigenartige synchrone Dinge geschehen, die einen starken Bezug zur Prüfsubstanz haben. So war es beispielsweise am ersten Tag der Neonprüfung so, daß die empfindsamste Prüferin aufwachte und feststellen mußte, daß irgend jemand ein paar alte Neonröhren in ihrem Garten abgeladen hatte. In der Woche, in der ich mit der Hydrogeniumprüfung begann, gaben zwei Wissenschaftler bekannt, ihnen sei eine Kernfusion bei Zimmertemperatur gelungen. Drei Monate später, direkt nach Abschluß der Prüfung, wurde der Versuch für unwahr und ungültig erklärt. Drei Jahre später jedoch, an dem Tag, als ich die Prüfung veröffentlichte, erschien erneut ein Zeitungsartikel mit derselben Ankündigung. Während der Prüfung von Diamant wurden in Südafrika die ersten allgemeinen Wahlen abgehalten, und es wurden mehrere Fernsehsendungen über Diamanten gesendet, in Großbritannien und auch in Amerika. Auch über diese Phänomene haben andere Prüfungsleiter berichtet. Die Idee wird von der modernen Wissenschaft gestützt, beispielsweise durch die Versuche von Rupert Sheldrake.

Selbstverständlich werden solche Gedanken angefochten. Für einige sind solche Vorkommnisse mit Sicherheit Zufälle, während andere die Verbundenheit aller Dinge untereinander wahrnehmen und die Auffassung vertreten, daß ein beliebiges Ereignis gar keine zufällige Erfahrung sein kann. Das gilt insbesondere dann, wenn es um eine derart kraftvolle kollektive Energiebewegung wie bei einer Prüfung geht. Welcher Auffassung man sich auch anschließen mag, Zufall, Synchronizität oder selektive Wahrnehmung, es ist immer spannend und aufschlußreich die entsprechenden Ereignisse in Politik, Finanzwirtschaft, Kultur und Wissenschaft zu beobachten. Schließlich ist Chaos nur eine nicht wahrnehmbare Form der Ordnung.

 

Arzneimittelprüfungen und ihre Beziehung zu klinischen Arzneimittelstudien

Seit der neuen Blütezeit der Arzneimittelprüfungen in den letzten Jahren haben verschiedene homöopathische Forschungsvereinigungen versucht, Anerkennung für ihre Prüfungen zu erlangen, indem sie ein Prüfprotokoll geschaffen haben, das den wissenschaftlichen Anforderungen genügt, darunter Techniken wie Doppelblindversuch und Crossover. Scheinbar gibt es Ähnlichkeiten zwischen der klinischen Arzneimittelstudie der Phase 1 und homöopathischen Arzneimittelprüfungen. Somit besteht die Möglichkeit, „homöopathische Arzneimittelstudien" durchzuführen, die dem biomedizinischen Modell entsprechen, häufig auch in dem Versuch, die Fähigkeiten von homöopathischen Arzneimitteln in der ganzen Welt und bei den Medizinern ganz besonders bekannt zu machen.

Um sicherzustellen, daß wir diese Bemühungen auch in ihrem jeweiligen Kontext verstehen, müssen wir genau betrachten, was ein therapeutischer Versuch der Phase 1 ist und wo er innerhalb des biomedizinischen Paradigmas angesiedelt ist.

Sechs Stufen liegen zwischen der Entdeckung eines neuen Medikaments und seiner Freigabe als Arznei für die Öffentlichkeit durch die Ärzte. Die erste Stufe ist die vorklinische, hier wird die Arznei an den unterschiedlichsten Tieren, von der Fliege bis hin zum Affen, getestet. Danach erfolgt eine offizielle Überprüfung, um festzustellen, ob die Arznei sich zum Medikament eignet, und um zu entscheiden, ob sich eine Weiterführung des kostspieligen und zeitraubenden Versuchs lohnt. Die nächste Stufe ist die klinische, sie umfaßt drei Phasen:

Phase 1 - klinische Pharmakologie. Zwischen 20 und 50 gesunde Probanden oder Patienten werden dazu benötigt. An ihnen wird die Pharmakokinetik (Aufnahme, Verteilung im Körper, Abbau und Ausscheidung), die Pharmakodynamik (biologische Wirkungen), die Verträglichkeit, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit untersucht.

Phase 2 - klinische Prüfung, benötigt 50 bis 300 Patienten, prüft außer dem bereits genannten auch die Dosierung.

Phase 3 - offizielle therapeutische Versuche an 250 bis 1000 Patienten, prüft die umfassende Wirksamkeit und Unbedenklichkeit und stellt einen Vergleich mit anderen Arzneistoffen an.

Die vierte Stufe in diesem Prozeß ist eine erneute amtliche Überprüfung, gefolgt von Untersuchungen zur Vorab-Zulassung (fünfte Stufe), wobei 2000 bis 10 000 Patienten getestet werden. In der sechsten Stufe wird die Zulassung für das Produkt erteilt, ihre Gültigkeit wird jedoch in regelmäßigen Abständen erneut überprüft.

Daraus wird klar, daß die Phase 1 des Arzneiauswertungsverfahrens zwar vom Verfahren her der homöopathischen Arzneimittelprüfung ähnlich ist, das Testen innerhalb dieses Verfahrens jedoch kaum einen Eindruck auf die Wissenschaftskreise machen würde. Dies vor allem deshalb, weil die Phase 1 nur ein kleiner Teil der gesamten Arzneibeurteilung ist. Daher ist es auch ziemlich unwahrscheinlich, daß sie dem Wissenschaftsestablishment irgendetwas beweisen kann.

 

Doppelter Blindversuch

Eine der möglichen Ähnlichkeiten zwischen klinischer und homöopathischer Arzneimittelprüfung besteht in der Verwendung der Doppelblindtechnik. Häufig wird angenommen, daß die Doppelblindmethode bereits ein vollständiger Arzneitest sei, folglich nannte man sie den doppelten Blindversuch, aber eigentlich ist es nur eine Schutzmaßnahme gegenüber falschen Daten. „Doppelblind" bezieht sich auf die beiden Personen, die in diesem Prozeß blind gemacht werden, an erster Stelle der Patient und an zweiter Stelle der Beobachter oder der Untersuchende. Harris Coulter vertritt hierzu einen interessanten Standpunkt:

„Anders als in der früheren Medizingeschichte, als man den Arzt für seine Beobachtungsfähigkeit schätzte, behauptet das zwanzigste Jahrhundert, daß die Wahrheit dadurch erlangt wird, daß man den Arzt seiner Sehfähigkeit beraubt." (15)

Interessanterweise sprechen Augenärzte von „doppelt-maskiert", wenn sie sich auf den Test beziehen. Der doppelte Blindversuch soll ein Gegengewicht gegenüber der Voreingenommenheit im Beobachter und dem Glauben im Patienten darstellen. Er ist aber nie empirisch getestet oder auf diese beiden Faktoren hin überprüft worden. Bekanntermaßen läßt er sich nur schwer durchführen, da die Krankenschwestern und die Angehörigen des Patienten beide eine außerordentlich scharfe Wahrnehmung haben. Coulter meint sogar, daß noch nie ein medizinischer Doppelblindversuch den Anforderungen einer überzeugenden Überprüfung standgehalten habe. Homöopathische Arzneimittelprüfungen werden heutzutage oft als Doppelblindversuche durchgeführt. Vor diesem Jahrhundert jedoch kannten die meisten Prüfer die Prüfsubstanz vorher.

 

Placebo

Ein Placebo hat bei einer klinischen Prüfung drei wesentliche Vorteile:

1) Es unterscheidet zwischen den pharmakodynamischen Wirkungen der Arznei und den psychologischen Auswirkungen der Prüfung selbst.

2) Es unterscheidet die Wirkungen der Arznei von Schwankungen innerhalb einer Krankheit und äußeren Faktoren.

3) Es vermeidet „falsch negative" Schlußfolgerungen - z.B. überprüft das Placebo die Wirksamkeit der eigentlichen Prüfung.

Tatsächlich werden Placebos bei klinischen Arzneiversuchen gar nicht immer benötigt oder verwendet. In bezug auf die homöopathische Arzneimittelprüfung kann sicherlich der erste Punkt von Bedeutung sein. - Die Verwendung eines Placebos kann die Wirkungen des Mittels von den Wirkungen des Prüfungsprozesses trennen. Der zweite Punkt kommt nicht zur Anwendung, da Arzneimittelprüfungen ausschließlich mit gesunden Freiwilligen durchgeführt werden und die homöopathische Arzneimittelprüfung selbstverständlich auch keinen Wirksamkeitsnachweis braucht - schließlich hat uns unsere lange Prüfungstradition gute Dienste geleistet, meistens ohne Einsatz von Placebos.

 

Individuelle Behandlung

Einer der Punkte, der die klinische Arzneimittelstudie von der homöopathischen Arzneimittelprüfung trennt, war immer die Tatsache, daß der Prüfer während der Prüfung so viel von einem Mittel einnimmt, wie er oder sie braucht, um eine Reaktion zu bekommen. Hingegen erfahren die Probanden bei der klinischen Studie meistens eine identische und kontinuierliche Behandlung. In dem Versuch, die homöopathische Arzneimittelprüfung mehr zu einem klinischen Arzneiversuch werden zu lassen, hat man homöopathische Forschung betrieben, bei der allen Teilnehmern das Mittel durchgehend und über einen längeren Zeitraum hinweg gegeben wurde. Das Endergebnis war statistisch gesehen häufig unbefriedigend, und sicherlich konnte keiner dieser Versuche das wissenschaftliche Establishment von der Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel überzeugen (siehe Artikel von Walach (16) und Clover u.a. (17).

 

Crossover Versuch

Beim klinischen Versuch unter Verwendung der Crossovertechnik nimmt der Patient Placebo und Arznei abwechselnd ein - beispielsweise einen Monat lang Placebo, dann einen Monat die Arznei, dann wieder einen Monat das Placebo. Da die Auswirkungen der meisten homöopathischen Behandlungen häufig länger als einen Monat andauern, ist die Interpretation der Crossover-Versuche durch die Überschneidung der Prüfungssymptome schwieriger. Will man daher diese Technik anwenden, muß der Test möglicherweise zwei Jahre lang weitergeführt werden, mit jeweils längeren Zeiträumen für jedes Stadium.

 

Ist die Methode der klinischen Arzneimittelprüfung auf homöopathische Prüfungen anwendbar?

Man sollte nicht vergessen, daß einige Homöopathen die Absicht haben, biomedizinische Modelle für die Bewertung der Wirksamkeit ihrer Mittel einzusetzen, obgleich sich doch genau diese Modelle wiederholt als lückenhaft erwiesen haben. Wir konnten bereits feststellen, daß die Doppelblindtechnik nie wirklich ausgetestet worden ist und nur selten richtig angewendet wurde. Wir alle wissen, daß zahlreiche gefährliche Medikamente durchs Netz gerutscht sind - Contergan (weltweit ca. 10 000 Lebendgeburten mit behinderten Kindern), Benoxaprofen (70 Todesfälle), die Butazone (mehr als 1100 Todesfälle) und so weiter.

Der „heilige Gral" der wissenschaftlichen Bekräftigung wurde den Homöopathen seit Generationen als Vorbild vorgesetzt, als Zeichen der Anerkennung und als Würdigung der Arbeit der vielen pflichtbewußten Homöopathen, angefangen bei Hahnemann. Man kann sich jedoch nur schwer vorstellen, wie wissenschaftliche, empirische Versuche für die Verwendung bei homöopathischen Arzneimitteln geeignet sein sollen, und es ist sicherlich schwierig, eine Voraussage über das Ergebnis solcher Tests zu machen, falls sie Erfolg haben sollten. Würde dann etwa der medizinische Berufsstand den Rezeptblock beiseite legen und zur Homöopathie überlaufen? Oder würden sie sogar mit Wohlwollen die Homöopathen als ihresgleichen ansehen im Kampf um Leben und Gesundheit?

Richard Grossinger schreibt:

„Sogar heutzutage sähen es einige Homöopathen gern, wenn die Homöopathie als eine Verbündete der allgemeinen Schulmedizin anerkannt würde, nur ist dies ohne eine grundlegende revolutionäre Veränderung an den Wurzeln von Medizin und Wissenschaft offensichtlich unmöglich". (18)

Wahrscheinlicher ist es, daß einige Mittel von den Schulmedizinern übernommen werden (wie z.B. Bryonia, Rhus tox, Pulsatilla und Apis am Ende des neunzehnten Jahrhunderts), was möglicherweise zu „Mischlingen" führt, die zusammen mit ihrer Allopathie etwas Homöopathie betreiben, ein Kompromiß, gegen den Hahnemann schon 1830 wetterte (Organon, § 52). Vor dieser Gefahr hat Dr. David St. George in seinem ausgezeichneten Artikel gewarnt:

„Die Einschränkungen der biomedizinischen Forschung schaffen jedoch kein vollständiges Verständnis und keine ausreichende Erklärung für komplementäre Therapien. Es besteht sogar die Gefahr, daß die komplementäre Medizin von allopathischen Ärzten übernommen wird. Die komplementäre Medizin wird umgeändert, damit sie den Bedürfnissen und den wohlerworbenen Interessen der Schulmedizin entspricht, die sich ihrerseits kaum oder gar nicht ändert." (20)

In bezug auf die Praxis und das Wissen der Homöopathie ist es Gibson zufolge eher unwahrscheinlich, daß empirische Versuche neue Informationen hervorbringen:

„Der große Zeitaufwand und die Kosten, die durch die Durchführung von Labortests und Kontrolltests entstehen, führen nur in der Kategorie der „Allgemeinsymptome" zu Aussagen, was als solches für die Beurteilung des Falles in Hinblick auf die homöopathische Verschreibung nur von geringem Wert ist." (21)

Damit Homöopathie wirksam sein kann, muß sie nicht nur mit einer guten Technik untermauert sein, sondern auch durch die eigene Lehre, die für ihre Wirksamkeit von zentraler Bedeutung ist. Es scheint schwer zu sein, diese Lehre durch wissenschaftliche Test, wie sie heute üblich sind, zu beweisen. David St. George kommt zu dem Schluß:

„Die Zeit ist gekommen, in der die komplementäre Medizin sich von dem Bedürfnis nach Legitimierung durch die Schulmedizin, indem sie deren Paradigma und ihre Forschungsmethoden übernimmt, abwenden muß. Die klassische klinische Forschung hat zwar ihren Platz, aber es ist lebenswichtig, daß man einen wesentlich umfassenderen Standpunkt zu Forschung und Entwicklung in der komplementären Medizin einnimmt." (20)

Für Hahnemann gab es in dieser Hinsicht keinen Zweifel, wie es seine Entgegnung auf Stapf (der den Wunsch geäußert hatte, einen allopathischen Arzt zur Homöopathie zu bekehren) zeigt:

„Unsere Kunst bedarf keines politischen Drucks, keiner weltlichen Ehrungen. Im Moment wächst sie langsam inmitten der Fülle des schwelgenden Unkrauts; sie wächst ungesehen von einem unscheinbaren Saatkorn zu einem kleinen Pflänzlein heran; bald wird man seinen Kopf über dem üppig wachsenden Unkraut sehen. Wartet nur ab - es schlägt seine Wurzeln tief in die Erde; unbemerkt, aber um so sicherer, kommt es zu Kräften; wenn seine Zeit gekommen ist, wird es größer werden, bis es zu einem Eichbaum Gottes wird, dessen Arme ungerührt vom wildesten Sturm, sich in alle Richtungen strecken, damit die leidenden Kinder der Menschen unter seinem wohltuenden Schatten wieder zum Leben erwachen." (22)

Trotz alledem gibt es keinen Grund dafür, das biomedizinische Wissen gänzlich zurückzuweisen, denn aus jedem Gebiet menschlichen Wissens kann man viel lernen. Wir sollten uns bemühen, nur die Aspekte zu integrieren, die die reine homöopathische Lehre stärken. Sorgfältige Kontrollen und der begrenzte Einsatz von Placebos können unbrauchbare Daten aussortieren und sollten integriert werden.

 

Die Methodik der Arzneimittelprüfungen

Einführung

Dieser Abschnitt stellt Richtlinien für eine vollständige, durchorganisierte, genaue und gründliche Arzneimittelprüfung auf. Danach kann eine solche Prüfung Eingang in die Arzneimittellehren und Repertorien finden und zuverlässig von Homöopathen benutzt werden. Die grundlegenden Gedanken zum Ablauf der Prüfungen stehen im Organon in den §§ 105 bis 145 und müssen vor Beginn der Prüfung mit aller Sorgfalt durchgearbeitet werden. Die Kentsche Vorlesung Ziffer 28 Die Arzneimittelprüfung und andere sachdienliche Literatur (siehe Bibliographie) sollten ebenfalls hinzugezogen werden.

 

Wie man gute Ergebnisse erzielt

Anfang der achtziger Jahre war offensichtlich, daß kaum Arzneimittelprüfungen durchgeführt wurden; und die Prüfungen, von denen ich wußte, hatten nur wenige Symptome gebracht. Ich fand es seltsam, daß diese Prüfungen keine guten Ergebnisse hervorgebracht hatten und kam nach weiterer Untersuchung zu dem Schluß, daß es in den meisten Fällen an der Methodik gelegen hatte. Im Nachhinein wurde klar, daß es Symptome gegeben hatte, sie aber wegen unzureichender Supervision unbemerkt geblieben waren.

„Es ist einleuchtend, daß die bei der Durchführung einer Arzneimittelprüfung verwendete Methode ein Punkt von größter Wichtigkeit ist und nicht etwa einer Laune oder dem Zufall überlassen werden darf. Die Vollständigkeit unserer Materia Medica und somit auch unsere Fähigkeit zum Heilen von Krankheiten hängt von unserer Auswahl einer passenden Methode ab." (23)

In § 32 heißt es:

„Jede wahre Arznei wirkt nämlich zu jeder Zeit unter allen Umständen auf jeden lebenden Menschen und erregt in ihm die ihr eigentümlichen Symptome (selbst deutlich in die Sinne fallend, wenn die Gabe groß genug war), so daß offenbar jeder lebende menschliche Organismus jederzeit und durchaus (unbedingt) von der Arzneikrankheit behaftet und gleichsam angesteckt werden muß, welches, wie gesagt, mit den natürlichen Krankheiten gar nicht der Fall ist." (siehe auch Organon § 134)

Somit muß jeder Prüfer zwangsläufig einige Wirkungen des Mittels spüren.

Der Grund für Hahnemanns unbedingte Überzeugung ist folgender: Bei einem kranken Menschen können wir das Mittel der Krankheitsempfänglichkeit angleichen und verwenden daher die geringste Kraft. Bei einer Prüfung jedoch können wir die Dosis und die Wiederholungen nach Gutdünken steigern, um eine Veränderung herbeizuführen. Hahnemann sagt: „deutlich wahrnehmbar, wenn die Dosis ausreichend war"... . Übertrieben hohe Dosierungen führen mit Sicherheit zu potentiell heftigen und anhaltenden Symptomen.

Kent kommentiert diesen Paragraphen:

„Hahnemann lehrt, daß der menschliche Organismus mehr unter der Kontrolle des menschlichen (fremden) Willens als unter dem der Krankheiten steht, denn nur die Krankheit kann ihn erfassen, für welche er empfänglich ist, während der Mensch die Dosis so variieren kann - sei es für eine Arzneimittelprüfung, sei es zum Heilen - daß er immer Resultate erzielen kann. Sehr empfindliche Organismen werden durch Wiederholung der Gabe schlimm geschädigt." (5)

Die Konsequenz daraus ist, schwächere Dosierungen und möglichst seltene Wiederholungen vorzunehmen, zusammen mit scharfer und genauer Beobachtung. Deshalb sind peinlich genaue Supervision und gewissenhaftes Herausarbeiten der Informationen die Hauptprinzipien, denen ich bei meinen Prüfungen folge. Es ist die Garantie für korrekte und zuverlässige Ergebnisse.

 

Rollenverteilung bei einer Prüfung

Um die hier vorgeschlagene Methode einer Arzneimittelprüfung zu erarbeiten nützt es, wenn man auf die einzelnen Rollen in den jeweiligen Stadien der Prüfung eingeht.

Die Hauptrollen sind:

Koordinator oder Prüfungsleiter

Supervisoren

Prüfer

Prüfungsgremium

Apotheke

Personen, die die Informationen zusammentragen, die sie auswerten, die den Text festlegen und die über die Repertorisierung entscheiden.

Der erste Schritt ist die Auswahl des Prüfungsleiters (oder Koordinators) und geeigneter Kandidaten für die anderen Aufgaben. Befassen wir uns nun mit ihren Rollen und Aufgabenbereichen.

 

Prüfer

Bei der Auswahl der Prüfer hat man häufig gar keine Wahl, es gibt jedoch einige grundsätzliche Kriterien.

Gesundheit

Es ist ein gängiges Mißverständnis, daß Prüfer „gesunde" Personen sein sollten. Wenn Sie eine völlig gesunde Person finden sollten, sagen sie mir bitte Bescheid!! Erstens hätten wir große Schwierigkeiten dabei, eine Gruppe absolut gesunder Prüfer zusammenzubringen; und außerdem bezweifle ich, daß diese sagenhaft „gesunde Person" überhaupt an einer Prüfung interessiert wäre, denn wahrscheinlich hat sie wichtigere Dinge zu tun! Hinzu kommt, daß wenn wir einer völlig gesunden Person ein Mittel geben, sie definitionsgemäß nicht reagieren, sondern sich anpassen würde. Vollständige Gesundheit trifft man somit selten an, aber ein annehmbarer Gesundheitszustand tut es auch.

„... in ihrer Art gesund an Körper..." (Organon § 126)

Was ist ein annehmbarer Gesundheitszustand? Es geht um Dynamik oder Stase. Die Prüferin oder der Prüfer sollten ausreichend dynamisch sein, das heißt sie sollten in der Lage sein, aus bestimmten Situationen „zurückzuschwingen". Man kann es mit einem Stehaufmännchen vergleichen, das umgestoßen wird und sich wieder aufrichtet. Eine unbewegliche Person kann man nur schwer umstoßen, und wenn sie einmal eine andere Lage eingenommen hat, dauert es lange, bis sie ihren ursprünglichen Platz wieder erreicht hat, denn es fehlt ihr an Beweglichkeit und Anpassungsvermögen. Wenn der Prüfer über Anpassungsvermögen und Flexibilität verfügt, kann er sich der Prüfung anpassen und später zu seinem ursprünglichen Zustand zurückkehren. Die Flexibilität können wir auf einer Skala von 1 bis 5 messen, 5 heißt größte Dynamik und Anpassungsvermögen und 1 hat am wenigsten Dynamik und die größte Unbeweglichkeit. Faktoren, die die Benotung herabsetzen sind Pathologie, Medikamente, Hindernisse zur Heilung, festgefahrene emotionale und geistige Zustände und schwache Lebenskraft. Dieser Skala zufolge sollte eine Person mit der Einstufung 1, 2 oder 3 keine Prüfung mitmachen, weil sie nicht in der Lage wäre, wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu gelangen.

Es sollten keine oder nur wenige statische Eigenschaften vorhanden sein, wie zum Beispiel eine schwere geistige oder körperliche Erkrankung. Auch ältere Personen sind zulässig, solange sie dynamisch sind. Personen, die irgendwelche Drogen nehmen, seien es Medikamente, Genußmittel oder Freizeitdrogen, sollten nicht an der Prüfung teilnehmen. Dazu gehören auch Anti-Baby-Pillen oder Hormonpillen. Aus ethischen Gründen halte ich es für besser, wenn auch Kinder und schwangere Frauen nicht prüfen.

Weitere Eigenschaften

§ 137 spricht auch über die Qualitäten eines Prüfers:

„...vorausgesetzt, daß man die Beobachtung durch die Wahl einer Wahrheit liebenden, in jeder Rücksicht gemäßigten, feinfühligen Person, welche die gespannteste Aufmerksamkeit auf sich richtet, zu erleichtern sich bestrebt ........" (1)

und:

„Die dazu gewählte Versuchsperson muß vor allen Dingen als glaubwürdig und gewissenhaft bekannt sein; sie muß sich während des Versuchs vor Anstrengungen des Geistes und Körpers, vor allen Ausschweifungen und störenden Leidenschaften hüten;" (1) § 126

Es ist interessant, daß Hahnemann als erste Anforderungen Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit nennt. Diese Eigenschaften sind unerläßlich, denn Arzneimittelprüfungen können ziemlich strapaziös sein; und wir sind auf das Durchhaltevermögen und den Eifer des Prüfers angewiesen, nur dann kann er uns die genaue Information liefern, die für die Prüfung notwendig ist.

Anzahl der Prüfer

Ich habe oft die Meinung gehört, daß man für eine gute Prüfung hundert und mehr Prüfer benötige. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, daß diese Zahl viel zu hoch ist und zu einer über-prüften Prüfung führen wird. Die Gefahr besteht in einer Überfrachtung mit vielen Allgemeinsymptomen, die das Repertorium zu sehr beladen und das Mittel im Vergleich zu anderen Mitteln unverhältnismäßig aufblähen.

Eine andere Überlegung ist der enorme Zeit- und Arbeitsaufwand. Das gilt besonders für ein Projekt an einer Schule, das von einem Studenten durchgeführt wird und für das ein Jahr vorgesehen ist, wobei im Anschluß an die erste Stufe ein noch viel längeres Projekt ansteht. Anne Schadde von der Homöopathieschule in München hat eine sehr umfangreiche Prüfung von Ozon abgeschlossen. Ihr Eindruck war, daß 55 Prüfer eine zu hohe Anzahl gewesen seien und sie in Zukunft mit kleineren Gruppen arbeiten werde.

Die Erfahrung zeigt, daß 5 Personen für ein kleines Vorhaben ausreichen und 15 - 20 Personen ein ziemlich vollständiges Mittelbild ergeben.

 

Prüfungsleiter / Koordinator

Der Prüfungsleiter oder der Koordinator sollte sich mit der den Prüfungen zugrundeliegenden Philosophie ganz allgemein gut auskennen. Sie oder er ist für den Ablauf der Prüfung verantwortlich, das beinhaltet auch die Sicherheit der Prüfer, das vorschriftsmäßige Arbeiten der Supervisoren usw. Die anspruchsvollste Rolle für den Koordinator ist die während der dritten Stufe, also bei der Auswertung der Ergebnisse, der Erfassung und Zusammenstellung der Symptome, das ist das Wichtigste. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Supervisoren zwar bei der Vorbereitung dieser Stufe helfen können, die eigentliche Erfassung schließlich jedoch von einer Person oder höchstens von zwei Personen miteinander gemacht werden muß, damit dieses „als sei es nur eine Person" während der gesamten Prüfung erhalten werden kann.

Die Koordinatoren sind verantwortlich für den Erfolg des Projekts. Sie sollten einen Gesamtüberblick über die ganze Prüfung haben. Sie müssen in jedem Moment die Hand am Puls des Geschehens haben. Sie haben den Überblick über alle Supervisoren und sorgen dafür, daß alles richtig läuft. Der Koordinator sollte wissen, was mit jedem einzelnen Supervisor und mit jedem einzelnen Prüfer passiert. Sie sollten genau verfolgen, wann die jeweilige Prüfung beginnt (am bestens ungefähr zum selben Zeitpunkt, das erleichtert die Prüfungsführung), welcher Prüfer Symptome erlebt, wie viele Gaben jeder einnimmt, bei wie vielen Symptome aufgetreten sind usw. Das ist der Schlüssel zu einer gut organisierten Prüfung, denn der Koordinator vertritt das Konzept des „als sei es nur eine Person".

Der Koordinator muß alle motivieren, damit es voran geht. Er oder sie treibt die Supervisoren an, die ihrerseits dann die Prüfer anstoßen.

Während die Prüfung voranschreitet, lernen sie die Symptomatik kennen und entwickeln ein Gespür für das Mittel, das ihnen bei der schwierigen Entscheidung helfen wird, die zuverlässigen Symptome auszuwählen.

 

Supervisoren

Gute Supervision ist der Schlüssel zu einer ausgezeichneten Prüfung.

Die Supervisoren sollten Homöopathen mit einer gewissen Erfahrung sein. Im Normalfall nimmt der Homöopath alle sechs Wochen den Fall des Patienten auf, als Supervisor jedoch nimmt er den Fall täglich auf. Die Aufzeichnungen des Supervisors sollen die Nachwelt überdauern, daher ist sorgfältige Arbeit notwendig. Ein Supervisor sollte nicht mehr als zwei Prüfer betreuen, denn die Aufgabe erfordert großen Einsatz. Er oder sie sollte das Mittel selbst nicht gleichzeitig prüfen, kann es aber später tun. Die Supervisoren sollten mit dem Fall des Prüfers vertraut sein, daher ist es am besten, wenn der Prüfer Patient des Supervisors ist. Wenn das nicht möglich ist, sollten Supervisoren und Prüfer so ausgewählt werden, daß sie zwecks leichterer Kommunikation nah beieinander wohnen.

Der Fall des Prüfers sollte vor der Prüfung vom Supervisor aufgenommen werden. Das ist entscheidend, um die Symptome vor der Prüfung mit denen danach zu vergleichen. Die Fallaufnahme muß gut sein und alle wichtigen Aspekte des Prüfers ausführlich genug umfassen.

Wenn ein Prüfer ein Mittel prüft, merkt er häufig gar nicht, daß er sich in einer Arzneimittelprüfung befindet, es sei denn er hat deutliche körperliche, äußerliche und offenkundige Symptome. Der Prüfer wird zur Prüfung und kann deshalb nicht wahrnehmen, daß er sich verändert. Sie meinen, sie würden sich ganz normal verhalten. Wenn jemand Androctonus prüft, wird er zum Skorpion. Er hat das Gefühl, dies sei sein normales Verhalten, weil Androctonus sein Zentrum überwältigt, so wie ein Virus im Kern einer Zelle die Macht ergreift. Jeder Mensch hat einen inneren Beobachter, aber während einer Prüfung kann es passieren, daß der Beobachter vom Mittel infiziert wird und nicht in der Lage ist, die Veränderung zu bemerken.

Mangelhafte Supervision ist der Hauptgrund für schwache Ergebnisse bei einer Prüfung. Am dritten Tag der Hydrogeniumprüfung veranstaltete ich ein Treffen der Supervisoren und der Prüfer, um über die bisherige Prüfung zu diskutieren. Nicht wenige berichteten, daß nichts geschehen sei. Da das gar nicht möglich war (siehe Organon § 32), erklärte ich, daß Prüfer häufig gar nicht wahrnehmen, daß etwas geschieht. Ich schickte die Supervisoren zurück, um die Prüfer noch einmal gründlich zu befragen.

Wenig später kamen sie zurück und sagten „mir war gar nicht aufgefallen, daß etwas passiert war" und „der Prüfer hat nicht bemerkt, daß es Prüfungssymptome waren". Das Überraschende daran war, daß alle unbeachteten Symptome für die Prüfer an sich nicht üblich waren. Daraufhin schrieben sie noch zahlreiche Symptome nieder, die sie ausgelassen hatten.

Dieses Phänomen tritt bei Arzneimittelprüfungen häufig auf. Ist man sich dieser Problematik nicht bewußt, kann eine Menge brauchbarer Information verloren gehen.

Die Situation ist vergleichbar mit der eines Patienten, der nach der Gabe eines ausgezeichneten Mittels zurückkommt und berichtet „es ist nichts passiert", obwohl alles besser geworden ist. Die Rolle des Supervisors ist daher von außerordentlicher Bedeutung. Er stellt einen festen Bezugspunkt dar, der sich nicht mit dem Prüfer verändert. Der Supervisor wird mit dem Fall des Prüfers vertraut, so daß beide tagtäglich miteinander vergleichen können, was neu, alt, geheilt und verändert ist.

Die Kommunikation kann telefonisch erfolgen, darunter kann jedoch die Qualität der Information leiden. Daher ist es ratsam, regelmäßig in persönlichem Kontakt zu stehen. Bei Prüfern, die täglich über das Telefon mit ihrem Supervisor sprachen, ihn später aber persönlich trafen, tauchten noch etliche weitere wichtige Informationen auf. Am besten ist es daher, Supervisoren und Prüfer ihrem Wohnort entsprechend einzuteilen.

 

Prüfungsgremium

Bei einer umfangreichen Prüfung setzt sich das Prüfungsgremium aus mehreren Homöopathen oder bei einer kleineren Prüfung aus einer Person zusammen. Es ist Aufgabe des Gremiums, für die Organisation zu sorgen. Ihm obliegt es, das Mittel und die zu verwendenden Potenzen auszuwählen, den Kontakt zur Apotheke herzustellen und möglicherweise auch bei der Herstellung des Mittels mitzuhelfen. Das schafft eine Doppelblindsituation, weil Koordinator, Supervisoren und Prüfer das Prüfungsmittel nicht kennen und nicht wissen, wer ein Placebo bekommt.

Das Prüfungsgremium notiert die Codenummern von jedem Mittel und vermerkt, welcher Prüfer welches Mittel bekommen hat. Die Mitglieder verteilen auch die Mittel und die Prüfungstagebücher.

Jedes Prüfungstagebuch enthält Anweisungen für Supervisoren und Prüfer. Die Tagebücher sollten ziemlich dick und gebunden sein. Sie sollten für Prüfer und Supervisoren jeweils eine andere Farbe haben. Jedes Buch wird mit Name, Nummer des Prüfers, Arzneimittelcode und wichtigen Telefonnummern versehen. Auf der ersten Seite kann zur Erinnerung das Berichtsmuster stehen, die nächsten Seiten sollten jedoch leer sein, um eine frei fließende Berichterstattung zu gewährleisten.

Das Prüfungsgremium kann am Schluß der Prüfung die Abschrift und die Veröffentlichung der Prüfung veranlassen.

 

Das Mittel

Die Prüfsubstanz

Die Freigiebigkeit der Natur ist groß. Unzählige Substanzen warten noch darauf, geprüft zu werden. Das Periodensystem sollte noch abgeschlossen werden, darunter zahlreiche der gewöhnlichen Salze. Es gibt Millionen Pflanzenarten, jede von ihnen könnte von genauso grundlegender Bedeutung sein wie Pulsatilla oder Aconitum. Millionen Insekten und andere Tiere, Fische und Vögel könnten von Nutzen sein, wären sie gut geprüft. Vielleicht werden synthetische Medikamente und Toxine gebraucht. Selbstverständlich kann man nicht die ganze Natur prüfen, aber um für die Mehrheit unserer Patienten ein echtes Simillimum zu finden, müssen noch viel mehr Prüfungen unternommen werden. Ein Vertreter jeder Familie aus jedem Reich der Natur würde die Homöopathie zu einer fast perfekten Wissenschaft erheben.

Zum Prüfungsgegenstand gelangt man auf vielen Wegen. Vielleicht suchen wir in der Materia Medica nach eklatanten Lücken. Ich erinnere mich noch, wie überrascht ich war, als ich feststellte, daß es für Androctonus keine anständige Prüfung gab. Möglicherweise stoßen wir auch bei unseren Studien auf ein interessantes pflanzliches oder mineralisches Mittel, oder wir entscheiden uns für eine Substanz, die uns persönlich schon das ganze Leben lang fasziniert hat. Eine Arzneimittelprüfung ist ein tiefer Ausdruck unserer inneren Kreativität, daher kann die Intuition bei unserer Entscheidung eine große Rolle spielen. Irgendwie sollten wir zulassen, daß das Mittel uns findet, und wenn wir uns dem Zufall öffnen, wird das auch geschehen. Nuala Eising beispielsweise hat uns drei wunderbare Mittel an die Hand gegeben - Granit, Kalkstein und Marmor - und alle wurden aufgrund von bedeutsamen Träumen ausgewählt.

Einige zusätzliche Faktoren sollte man berücksichtigen. Zuallererst - ist die Substanz erhältlich? Manche Leute wollen oft die eigenartigsten und herrlichsten Substanzen prüfen, die man nur schwer bekommen kann; Mondgestein, Schuppen von einem Drachen oder seltene Pflanzen des Amazonasgebietes beispielsweise!

Einige Homöopathen vertreten die Ansicht, daß ein nützliches Mittel aus der nahen Umgebung kommen und für den Patienten leicht zugänglich sein sollte, da die Natur immer für ein erreichbares Heilmittel sorgt. Das ist ein schöner Gedanke. Die Antithese davon jedoch ist, daß je tiefer und schwerer eine Krankheit wird, desto weiter weg wird wahrscheinlich das Arzneimittel liegen. Wir erinnern uns alle an Zeiten, in denen wir Lachesis erfolgreich in Europa verschrieben haben, oder Hepar sulfuris, ein Mittel, das natürlich nur tief im Bauch der Erde vorkommt. Bevor ich mich endgültig für ein Prüfungsmittel entscheide, gehe ich in die Meditation und frage mich: Wird dieses Mittel ein nützliches Hilfsmittel sein, um Kranke wieder gesund zu machen? Wird dieses Mittel eine der Lücken füllen, auf die Homöopathen täglich in ihrer Praxis stoßen?

Was den Prüfstoff angeht, so kann man jede natürliche oder synthetische Substanz verwenden. Besonders wichtig ist es, die genauen Einzelheiten der Ursubstanz aufzuzeichnen und nachzuprüfen, z.B. Art, Geschlecht, Zeit des Sammelns, Standort, Menge in Volumen oder Gewicht, Prozent- und Volumenangabe des Alkohols, Alter und Teil des Probestücks usw. Bei einer Nosode sollten allgemeine Angaben zu Alter, Konstitution und Gesundheitszustand des Spenders gemacht werden.

Bei Pflanzen sollte man in der kräuterkundlichen und botanischen Fachliteratur nachforschen, um festzustellen, welcher Teil die größte Wirkkraft hat und welcher Zeitpunkt für das Sammeln am besten geeignet ist. Vorzugsweise sammelt man die Pflanze in ihrer natürlichen Umgebung.

Alle Substanzen sollten so natürlich wie möglich und weitgehend schadstoffrei sein. Man verwende eher eine Glasflasche als eine aus Kunststoff. Die pharmazeutische Zubereitungsform sollte genau angegeben werden.

 

Dosis und Darreichungsform

Es gibt viele verschiedene Meinungen zur Frage der Dosierung bei Prüfungen. Am häufigsten vertreten wird die irrige Annahme, daß die Dosis ständig wiederholt werden muß - normalerweise täglich während der gesamten Prüfung. Hahnemann und Kent haben die logischste und wirksamste Art und Weise empfohlen, der auch ich gefolgt bin und die ich durch meine eigene Erfahrung bestätigt habe.

Bevor wir die Auffassungen der Meister untersuchen, sollten wir festhalten, daß es ungeachtet der Theorien zur Dosierung in der Praxis den meisten Prüfungen völlig an Übereinstimmung fehlt. Es scheint, daß jeder Homöopath eine andere Methode hat. Schmökert man in Allens Encyclopaedia, findet man enorme Diskrepanzen und wunderbare und vielfältige Weisen, das Mittel einzunehmen. Bei der Phosphorprüfung nahm ein Prüfer beispielsweise am ersten Tag zweimal 20 Tropfen der Urtinktur ein, am zweiten Tag die gleiche Dosis dreimal, am dritten Tag 20 Tropfen am Morgen und 40 Tropfen am Nachmittag, 20 Tropfen am vierten Tag und 30 Tropfen am fünften Tag. Ein anderer Prüfer nahm drei Tage lang 4 Tropfen ein und nahm dann am vierten Tag 6 Tropfen. Ein Mädchen verzehrte die oberste Spitze von 1000 Streichhölzern - das ist natürlich eine toxikologische Prüfung. Ein weiterer Prüfer nahm 11 Tage lang eine Dosis der 30. Potenz und ein anderer die 15. Potenz 3 Tage lang ein. Bei anderen Prüfungen sehen wir ähnliche Unterschiede. Zum Beispiel:

Tilia europea: Einige nahmen die Urtinktur, andere 2 Tage lang die erste Centesimaldilution, ein anderer nahm am ersten Tag 20 Tropfen der 30.Dilution, danach 10 Tropfen und dann 20.

Tarentula: die C3, C6, C12 und C200 wurden verwendet.

Cenchris wurde mit einmaligen Gaben der C6 und der 10M geprüft.

Bei anderen Prüfungen verwendete man Dosen, die täglich niedriger lagen, z.B. C30 bis C29, C28, C27 usw. Andere wiederum nahmen die CM täglich.

Es gibt eine ungeheure Vielfalt an Vorgehensweisen, die von einmaligen Gaben bis zu monatelang dreimal täglich reichen, und Potenzen von der Urtinktur bis zu mehreren CM umfassen.

In § 129 schreibt Hahnemann:

„Wenn nur schwache Wirkungen von einer solchen Gabe zum Vorschein kommen, so kann man, bis sie deutlicher und stärker werden, täglich etliche Kügelchen mehr zur Gabe nehmen, bis die Befindens-Veränderungen wahrnehmbarer werden; denn wenige Personen werden von einer Arznei gleich stark angegriffen; es findet im Gegenteil eine große Verschiedenheit in diesem Punkte statt, so daß von einer als sehr kräftig bekannten Arznei, in mäßiger Gabe, zuweilen eine schwächlich scheinende Person fast gar nicht erregt wird, aber von mehreren andern dagegen, weit schwächeren, stark genug. Und hinwiederum gibt es sehr starke Personen, die von einer mild scheinenden Arznei sehr beträchtliche Krankheits-Symptome spüren, von stärkeren aber geringere u.s.w. Da dies nun vorher unbekannt, so ist es sehr rätlich, bei jedem zuerst mit einer kleinen Arzneigabe den Anfang zu machen, und wo es angemessen und erforderlich, von Tage zu Tage zu einer höheren und höheren Gabe zu steigen." (1)

Dieser Paragraph ist verwirrend. Die Verwirrung entsteht durch die Aussage „von Tage zu Tage zu einer höheren und höheren Gabe zu steigen". Manche sind der Auffassung, damit sei gemeint, immer niedrigere Potenzen zu nehmen, und das können wir bei vielen der alten Prüfungen finden. Andere meinen eher, daß Hahnemann der Ansicht war, man solle von Tag zu Tag mehr Globuli einnehmen. Und wieder andere wollen nacheinander immer höhere Potenzen einsetzen. Alles hängt davon ab, was wir unter dem Begriff „Dosis" im Organon verstehen.

Ich verstehe bei Hahnemann unter dem Begriff „Dosis" die Menge, die Anzahl der Globuli. Es gibt die weitverbreitete Meinung, daß es gleichgültig sei, ob man ein Kügelchen oder die ganze Flasche gibt. Dennoch betonte Hahnemann, daß es einen großen Unterschied zwischen einem Mohnsamen und 10 Mohnsamenkörnern gäbe. Er warnte davor, zu viele Globuli zu geben. Seiner Meinung nach entsteht der Unterschied durch die größere Menge des aufsaugenden Milchzuckers. Ein größerer Eisenstab wird ja auch zu einem viel stärkeren Magneten, wenn er magnetisiert wird. Zu einem früheren Zeitpunkt sagt er „man kann täglich ein paar Globuli mehr nehmen" und meinte damit nicht, in der Reihe der Potenzen hoch oder runter zu gehen, sondern eher größere Mengen zu verabreichen.

Entscheidend ist, daß manche Menschen leicht Symptome hervorbringen, während andere einen Anstoß brauchen. Da wir das aber nie vorher wissen, beginnt man am besten sanft. Wenn gar nichts geschieht, wiederholt man die Dosis oder erhöht sie, bis Symptome auftreten, dann beendet man die Einnahme.

Kent war in diesem Punkt sehr deutlich. Er bestand darauf, das Mittel bis zum Auftreten von Symptomen zu geben und es dann abzusetzen. Ihm war es lieber, vorsichtig zu sein. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es unsere vorrangige Pflicht bei einer Prüfung ist, den Prüfer zu schützen. Erst kommt der Prüfer dann die Prüfung, sie oder er ist wichtiger als die eigentliche Prüfung. Es kann dem Prüfer schaden, das Mittel gedankenlos zu wiederholen. Während der Prüfung von Androctonus nahmen einige Prüfer entgegen den Anweisungen das Mittel einfach weiter. Bei einigen entwickelten sich anhaltende und unangenehme Symptome. Bei mangelhafter Supervision merken die Prüfer möglicherweise gar nicht, daß Symptome aufgetreten sind und fahren mit der Einnahme fort. Solche Symptome entwickeln sich und übertragen sich auf die Konstitution. Ich habe für mich daraus eine Lehre gezogen und beschlossen, eher vorsichtig zu sein, als starke Symptome zu erzwingen.

P.P. Wells, Zeitgenosse von Hering, führt aus:

„Nachdem die Arznei der Lebenskraft beigegeben worden ist, muß man sie allein lassen, so daß sich ihr wahrer Charakter voll entfalten kann. Sie darf weder durch eine andere Dynamis noch durch irgendeine Wiederholung gestört werden, bis die ursprüngliche Dosis genügend Zeit gehabt hat, ihre Wirkung zu erschöpfen. Sorgfalt in dieser Sache ist um so bedeutsamer als die fähigsten Studenten der Materia Medica (Boenninghausen, Hering) und die besten Beobachter der Arzneimittelprüfung gelernt haben, daß die Symptome, die als letzte auftreten, den höchsten Wert in der Prüfung haben." (12)

Ich habe mich daher für eine Formel von höchstens 6 Dosen innerhalb von 2 Tagen entschieden. Wenn irgendein Symptom erscheint, soll keine weitere Gabe eingenommen werden. Wenn nach zwei Tagen nichts geschehen ist, keine weiteren Gaben mehr. Das geschieht aus Sicherheitsgründen, da Prüfer häufig nicht bemerken, daß etwas geschehen ist und immer weiter wiederholen. Prüfungssymptome sind im Normalfall sehr mild und ziehen sich wie ein feines Spinnennetz über das Normalbewußtsein. Ich habe beobachtet, daß 80% der Teilnehmer vor Einnahme aller 6 Dosen deutliche Symptome zeigten. Die meisten Prüfer spüren nach der ersten Gabe etwas, sind sich dessen aber nicht sicher, nach der nächsten Gabe spüren sie es dann stärker. Hier ist genaue Supervision wichtig, da der Prüfer sich nicht sicher sein kann, ob etwas geschehen ist oder nicht. Wie Wells erläutert kann eine weitere Dosis nicht schaden:

„Ich halte es für absolut angemessen und richtig und gerechtfertigt, wenn man bei einer Prüfung den ersten Angriff sozusagen mit einer Potenz, die innerhalb von vierundzwanzig Stunden mehrfach wiederholt wird, führt ... Es wirkt wahrscheinlich so wie eine einmalige Gabe wenn man sie in Ruhe läßt und ihr nicht in die Quere kommt, bis die Wirkung dieser wiederholten Gabe nachgelassen hat." (12)

Wichtig ist dabei, daß man während der sekundären Reaktion nicht noch weitere Gaben des Mittels gibt. Wenn in einigen Fällen nach 6 Gaben nichts geschehen ist, kann sich der Koordinator überlegen, ob er noch weitere 3 Gaben gibt, um eine Reaktion zu erzeugen. Ein solcher Prüfer wäre dann wahrscheinlich nicht besonders empfindlich. Kent betont auch, daß man auf keinen Fall eine Prüfung abbrechen und erneut beginnen sollte. Vielleicht unterbricht man eine Woche lang, weil man meint, es würde nichts geschehen und nimmt dann noch ein paar Gaben ein. Dadurch besteht jedoch die Gefahr, daß eine Empfänglichkeit geschaffen wird. Wird die Einnahme eines Mittel wiederholt, vermischen sich die Wirkungen miteinander, mit der möglichen Gefahr, daß der Konstitution Symptome eingeprägt werden. Das Mittel kann erst dann wiederholt werden, wenn die Wirkungen der ersten Prüfung ausgelaufen sind.

Kent:

„...bitte nie aber Unterbrechung, Störung des Ablaufs durch neue Gaben des Prüfstoffs. Das letztere nämlich ist etwas vom Gefährlichsten, was man tun kann. Wenn die Arsen-Symptome kommen und sich klar zeigen, könnte es einem nach einer Woche oder 10 Tagen einfallen: 'Laßt uns das Bild etwas auffrischen, daß die Symptome etwas stärker werden.' Und um dies zu bewirken, nimmt man nun noch eine große Portion Arsen mehr. Damit prägt man dann aber dem Organismus eine Arsen-Diathese tief ein, die nie mehr weichen wird, nicht heilbar ist! Mit dieser unangebrachten Repetition des Prüfstoffs bricht man in den Zyklus des Prüfstoffs ein, und das ist ein gefährliches Ding. Leider ist das schon getan worden, und gewisse Prüfer haben dann die Effekte der betreffenden Arzneimittelprüfung bis an ihr Lebensende mit sich getragen." (5)

Schauen wir uns einmal an, was Hahnemann dazu in § 130 ausführt:

„Wenn man gleich anfangs zum ersten Male eine gehörig starke Arzneigabe gereicht, so hat man den Vorteil, daß die Versuchsperson die Aufeinanderfolge der Symptome erfährt und die Zeit, wann jedes erschienen ist, genau aufzeichnen kann, welches zur Kenntnis des Charakters der Arznei sehr belehrend ist, weil dann die Ordnung der Erstwirkungen, so wie die der Wechselwirkungen am unzweideutigsten zum Vorschein kommt. Auch eine sehr mäßige Gabe ist zum Versuche oft schon hinreichend, wenn nur der Versuchende feinfühlig genug und möglichst aufmerksam auf sein Befinden ist. Die Wirkungsdauer einer Arznei wird erst durch Vergleichung mehrerer Versuche bekannt."(1)

Hahnemann behauptet, daß die Einzelgabe vorzuziehen sei, da sich primäre und sekundäre Wirkung in ungestörter Abfolge entfalten können. Man kann die Symptome in der natürlichen Reihenfolge ihres Auftretens und Verweilens beobachten. Die primäre Wirkung geht in die sekundäre über und läßt dann nach. Dies kann man nur bei einer Einzeldosis oder einer einmaligen kollektiven Dosis beobachten. Dieses klare Bild wird undeutlich, wenn das Mittel auch noch während der sekundären Reaktion weitergegeben wird. Dann fängt die Lebenskraft nämlich an, sich gegen die Arznei zu wehren.

In § 131 heißt es dann weiter:

„Muß man aber, um nur etwas zu erfahren, einige Tage nacheinander dieselbe Arznei in immer erhöhten Gaben derselben Person zum Versuche geben, so erfährt man zwar die mancherlei Krankheitszustände, welche diese Arznei überhaupt zuwege bringen kann, aber nicht ihre Reihenfolge, und die darauffolgende Gabe nimmt oft ein oder das andere, von der vorgängigen Gabe erregte Symptom wieder hinweg, heilwirkend, oder den entgegengesetzten Zustand hervorbringend - Symptome, welche als zweideutig eingeklammert werden müssen, bis folgende, reinere Versuche zeigen, ob sie Gegen- und Nach-Wirkung des Organismus, oder eine Wechselwirkung dieser Arznei sind."(1)

Es lohnt sich also nicht, ständig die Gabe zu wiederholen. Primäre und sekundäre Reaktionen vermischen sich miteinander und jede Gabe antidotiert die Wirkung der vorherigen Arznei. Das Mittel heilt sich gewissermaßen selbst und vernachlässigt einige der Symptome, die es vorher gezeigt hatte. Eine derartige Prüfung ist weniger genau, und manche Symptome sollten solange mit Klammern versehen werden, bis sie bestätigt worden sind.

Hahnemann betont, daß die einmalige Dosis der reinere Versuch ist. Die Erfahrung zeigt, daß sie auch die stärkere Prüfung darstellt.

 

Potenzierung

In § 128 stellt Hahnemann fest, daß es durch den Einsatz potenzierter Arzneien bei Prüfungen vielfältigere Symptome gibt als bei materiellen Gaben:

„Die neueren und neuesten Erfahrungen haben gelehrt, daß die Arzneisubstanzen in ihrem rohen Zustande, wenn sie zur Prüfung ihrer eigentümlichen Wirkungen von der Versuchsperson eingenommen werden, lange nicht so den vollen Reichtum der in ihnen verborgen liegenden Kräfte äußern, als wenn sie in hohen Verdünnungen durch gehöriges Reiben und Schütteln potenziert zu dieser Absicht eingenommen worden; durch welche einfache Bearbeitung die in ihrem rohen Zustande verborgen und gleichsam schlafend gelegenen Kräfte bis zum Unglaublichen entwickelt und zur Tätigkeit erweckt werden. So erforscht man jetzt am besten, selbst die für schwach gehaltenen Substanzen in Hinsicht auf ihre Arzneikräfte, wenn man 4 bis 6 Streukügelchen der 30. Potenz einer solchen Substanz von der Versuchsperson täglich, mit ein wenig Wasser angefeuchtet, nüchtern einnehmen und dies mehrere Tage fortsetzen läßt." (1)

Zu diesem Zeitpunkt dachte Hahnemann daran, die Potenz C 30 zu standardisieren, der Gedanke wurde jedoch nie weiterverfolgt. Ich habe bei meinen Prüfungen viele verschiedene Potenzen verwendet - C 6, C 15, C 30, C 200. Es ist aber ebenso berechtigt, nur eine Potenz zu verwenden, wie die C 30 oder eine einmalige Gabe der C 1000.

Jedes Prüfungsgremium muß entscheiden, ob nur eine Potenz oder mehrere Potenzen eingesetzt werden sollen. Letzteres kann nützlich sein, um die Wirkung auf verschiedenen Potenzebenen zu untersuchen und dadurch eine Information zu erhalten, die die Wahl der richtigen Potenz für einen Patienten erleichtert. Wir ordnen das individuelle Symptom des Patienten dem entsprechenden in der Materia Medica zu. Dann können wir die jeweilige Potenz, die diese Symptome erzeugt hat, zur Heilung einsetzen. So folgen wir dem Ähnlichkeitsgesetz gleichzeitig in bezug auf Potenz und auf Symptom. Wenn beispielsweise „schneidender Kopfschmerz, an der linken Schläfe, morgens" durch eine C200 aufgetreten ist, kann man für die Heilung die gleiche Potenz einsetzen.

Ein sensibler Prüfer kann nach Abschluß einer Prüfung mit tiefen Potenzen die Prüfung mit einer einmaligen Gabe einer Hochpotenz wiederholen. Das führt zu noch feineren und charakteristischeren Symptomen.

 

Placebo

Der Einsatz eines Placebos gehört zu den umstrittensten Themen in einem Prüfungsprotokoll. Die Trennungslinie zwischen den Meinungen verläuft ähnlich wie die in der Homöopathie überhaupt, zum Beispiel zwischen „wissenschaftlichen" und „klassischen" Homöopathen.

Es gibt mehrere Methoden für den Einsatz von Placebos. Beispielsweise kann man eine Kontrollgruppe einsetzen, in der 50 % der Prüfer das Placebo einnehmen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, 30 Tagesdosen eines Mittels zu verabreichen, von denen nur eine oder zwei echte Arzneien sind, alle anderen sind Placebos. Hierbei werden die Mittelgaben durchnumeriert, und weder Prüfer noch Supervisor kennen die Reihenfolge. Eine andere Möglichkeit ist der Crossover-Versuch, bei dem eine Gruppe ein Placebo und die andere das Verum bekommt und nach ein bis zwei Monaten gewechselt wird.

Derartige Methoden sind meiner Meinung nach umständlich und zeitaufwendig, ohne daß wir davon profitieren. Wie verwenden wir denn, wenn überhaupt, die Symptome, die durch ein Placebo hervorgerufen wurden? Gute Prüfer findet man nicht leicht - sollten wir sie an ein Placebo verschwenden? In seinem Artikel „Eine Prüfung von Mandragora officinarum" (19) berichtet Raeside, daß er und seine Prüfer nach zahlreichen Prüfungen (darunter Esponjilla, Hydrophis, Venus mercenaria, Hirudo, Colchicum autumnalis, Mimosa pudica u.a.) den Eindruck hatten, daß „Kontrollgaben eine unnütze Vergeudung von guten Prüfern seien".

Interessant ist außerdem die Feststellung, daß Prüfungen mit Placebos ab und zu Symptome produzieren, die den Prüfungssymptomen ähneln, dadurch entstehen erneut Zweifel an der Verwendung dieses Mediums bei Prüfungen.

Ich habe mich hingegen auf wenige Placebos und ganz besondere Sorgfalt bei der Überprüfung der Symptome verlassen. Peinliche Genauigkeit und klinische Erfahrung sind der beste Schutz und der beste Nachweis.

Für die Verwendung von Placebos spricht, daß dadurch die Aufmerksamkeit der Prüfer bei ihren Berichten besonders groß ist. Ich habe mich daher für den Weg entschieden, 10 - 20 % Placebos zu geben, und ich gebe laut und deutlich bekannt, daß in der Prüfung auch Scheinarzneien enthalten sind.

Arzneimittelprüfungen halten sich nicht an kartesianisches Denken, da der Experimentator Teil des Experiments ist. Wenn man davon ausgeht, daß die meisten wenn nicht alle Prüfungen des 19. Jahrhunderts weder Placebo noch Crossovertechnik kannten, ist interessant, daß sie den Test der Zeit bestanden und sich in Tausenden von Fällen als klinisch wirksam erwiesen haben.

Die Verwendung von Placebos in Prüfungen sollten wir gründlich überlegen. Placebo bedeutet „Ich werde gefallen". Zu gefallen hat viele Vorteile und zahlreiche Nachteile. Wir sollten Placebos maßvoll einsetzen, aber unseren Weg nicht verlassen, um einer orthodoxen Haltung zu huldigen, die sich mit reiner Homöopathie doch nie zufrieden geben wird.

 

Die genauen Anleitungen zur Durchführung einer Prüfung, die Anhänge mit über 500 modernen Arzneimittelprüfungen, sowie Auswertungsformulare für PrüferInnen und SupervisorInnen finden Sie im Buch.     zurück

Diese Arzneimittelprüfung können Sie als Buch bestellen.